Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorabentscheidungsersuchen. Niederlassungsfreiheit. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Nichtdiskriminierung. Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen eines Mitgliedstaats. Regelung eines Mitgliedstaats, wonach die gesetzlichen Vertreter einer in diesem Staat das Gewerbe des Handels mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial ausübenden Gesellschaft seine Staatsangehörigkeit besitzen müssen

 

Normenkette

AEUV Art. 346 Abs. 1 Buchst. b

 

Beteiligte

Schiebel Aircraft

Schiebel Aircraft GmbH

Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend

 

Tenor

Die Art. 45 AEUV und 49 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegenstehen, nach der die Mitglieder der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Organe oder der geschäftsführende Gesellschafter von Gesellschaften, die das Gewerbe des Handels mit militärischen Waffen und militärischer Munition und der Vermittlung des Kaufs und Verkaufs militärischer Waffen und militärischer Munition ausüben wollen, die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzen müssen. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob der Mitgliedstaat, der sich auf Art. 346 Abs. 1 Buchst. b AEUV beruft, nachzuweisen vermag, dass eine Inanspruchnahme der dort vorgesehenen Ausnahme erforderlich ist, um seine wesentlichen Sicherheitsinteressen zu wahren.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 25. September 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Oktober 2012, in dem Verfahren

Schiebel Aircraft GmbH

gegen

Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter E. Juhász, A. Rosas (Berichterstatter), D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und T. Müller als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,
  • der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und U. Persson als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Enegren und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 AEUV, 45 AEUV, 49 AEUV und 346 Abs. 1 Buchst. b AEUV.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Schiebel Aircraft GmbH (im Folgenden: Schiebel Aircraft) und dem Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend (im Folgenden: Bundesminister) wegen dessen Weigerung, Schiebel Aircraft die Genehmigung zur Ausübung von Tätigkeiten im Waffengewerbe zu erteilen.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

§ 94 Z 80 der österreichischen Gewerbeordnung 1994 in ihrer auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (BGBl. I Nr. 111/2010, im Folgenden: GewO 1994) bestimmt:

„Folgende Gewerbe sind reglementierte Gewerbe:

80. Waffengewerbe (Büchsenmacher) einschließlich des Waffenhandels”.

Rz. 4

§ 95 GewO 1994 sieht vor:

„(1) Bei den im § 94 Z 5, 10, 16, 18, 25, 32, 36, 56, 62, 65, 75, 80 und 82 angeführten Gewerben ist von der Behörde zu überprüfen, ob der Bewerber oder, falls sich eine juristische Person oder eingetragene Personengesellschaft um die Gewerbeberechtigung bewirbt, die im § 13 Abs. 7 genannten Personen die für die Ausübung des Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit (§ 87 Abs. 1 Z 3) besitzen. Mit der Gewerbeausübung darf der Anmelder erst mit der Rechtskraft des Bescheides gemäß § 340 beginnen.

(2) Bei den im Abs. 1 angeführten Gewerben ist die Bestellung eines Geschäftsführers oder eines Filialgeschäftsführers für die Ausübung des Gewerbes genehmigungspflichtig. Die Genehmigung ist auf Ansuchen des Gewerbeinhabers zu erteilen, wenn die im § 39 Abs. 2 bzw. § 47 Abs. 2 angeführten Voraussetzungen erfüllt sind.”

Rz. 5

§ 139 GewO 1994 bestimmt:

„(1) Einer Gewerbeberechtigung für das Waffengewerbe (§ 94 Z 80) bedarf es für folgende Tätigkeiten:

  1. hinsichtlich nichtmilitärischer Waffen und nichtmilitärischer Munition

    1. die Erzeugung, Bearbeitung und Instandsetzung (einschließlich der Tätigkeit der Büchsenmacher),
    2. den Handel,
    3. das Vermieten,
    4. die Vermittlung des Kaufes und Verkaufes;
  2. hinsichtlich militärischer Waffen und militärischer Munition

    1. die Erzeugung, Bearbeitung und Instandsetzung,
    2. den Handel,
    3. die Vermittlung des Kaufes und Verkaufes.

(4) Das Vermieten und die Instandsetzung von Schusswaffen sowie der Verkauf des dazugehörigen Schießbedarfes auf behördlich genehmigten Schießstätten ist den gemäß Abs. 1 Z 1 lit. a, b oder c oder Z 2 lit. a oder b berechtigten Gewerbetreibenden gestattet. Ansonsten ist das Vermieten von militärischen Waffen unzulässig.”

Rz. 6

In § 14...

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