Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung. Verweisung an ein Gericht, das den Fall besser beurteilen kann. Anwendungsbereich. Rechtshängigkeit

 

Normenkette

EGV Nr. 2201/2003 Art. 15, 19

 

Beteiligte

IQ

IQ

JP

 

Tenor

Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass er in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der die beiden angerufenen Gerichte nach Art. 12 bzw. 8 dieser Verordnung für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig sind, nicht anwendbar ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Cluj (Landgericht Cluj, Rumänien) mit Entscheidung vom 17. Juli 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 9. August 2017, in dem Verfahren

IQ

gegen

JP

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits und A. Borg Barthet (Berichterstatter), der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der rumänischen Regierung, zunächst vertreten durch R. H. Radu, C.-M. Florescu, und R. Mangu, dann durch C.-R. Canţăr, C.-M. Florescu und R. Mangu als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und D. Calciu als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Juli 2018

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen IQ und JP wegen u. a. der Ausübung der elterlichen Verantwortung für ihre drei gemeinsamen Kinder nach ihrer Scheidung.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 12 und 13 der Verordnung Nr. 2201/2003 heißt es:

„(12) Die in dieser Verordnung für die elterliche Verantwortung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften wurden dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet. Die Zuständigkeit sollte vorzugsweise dem Mitgliedstaat des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes vorbehalten sein außer in bestimmten Fällen, in denen sich der Aufenthaltsort des Kindes geändert hat oder in denen die Träger der elterlichen Verantwortung etwas anderes vereinbart haben.

(13) Nach dieser Verordnung kann das zuständige Gericht den Fall im Interesse des Kindes ausnahmsweise und unter bestimmten Umständen an das Gericht eines anderen Mitgliedstaats verweisen, wenn dieses den Fall besser beurteilen kann. …”

Rz. 4

Art. 1 „Anwendungsbereich”) Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

„Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:

b) die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.”

Rz. 5

Art. 2 Nr. 1 der Verordnung bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

‚Gericht’ alle Behörden der Mitgliedstaaten, die für Rechtssachen zuständig sind, die gemäß Artikel 1 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen”.

Rz. 6

Kapitel II Abschnitt 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 enthält Zuständigkeitsvorschriften bezüglich der Ehescheidung, der Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und der Ungültigerklärung einer Ehe. In diesem Abschnitt 1 der Verordnung bestimmt Art. 3 „Allgemeine Zuständigkeit”) Abs. 1:

„Für Entscheidungen über die Ehescheidung, die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder die Ungültigerklärung einer Ehe, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig,

a) in dessen Hoheitsgebiet

– der Antragsgegner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat …

…”

Rz. 7

Kapitel II Abschnitt 2 der Verordnung sieht in den Art. 8 bis 15 eine Gesamtheit von Zuständigkeitsregeln auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung vor.

Rz. 8

Art. 8 „Allgemeine Zuständigkeit”) der Verordnung bestimmt:

„(1) Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2) Absatz 1 findet vorbehaltlich der Artikel 9, 10 und 12 Anwendung.”

Rz. 9

Art. 12 „Vereinbarung über die Zuständigkeit”) der Verordnung sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1) Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem nach Artikel 3 über einen Antrag auf ...

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