Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten. Begriff ‚Verarbeitung‘. Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten. Grundsatz der ‚Datenminimierung‘. Erfordernis, dass eine Einschränkung der Ausübung eines Grundrechts ‚gesetzlich vorgesehen‘ sein muss. Verhältnismäßigkeit. Beurteilung der Verhältnismäßigkeit anhand aller relevanten Gesichtspunkte. Vorherige Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde. Der betroffenen Person zur Verfügung zu stellende oder zu erteilende Informationen. Grenzen. Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen Verantwortliche oder Auftragsverarbeiter. Polizeiliche Ermittlungen im Bereich des Handels mit Suchtmitteln. Versuch der Polizeibehörden, ein Mobiltelefon zu entsperren, um für die Zwecke dieser Ermittlungen Zugang zu den darauf gespeicherten Daten zu erlangen
Normenkette
EURL 680/2016 Art. 3 Nr. 2, Art. 4, 4 Abs. 1 Buchst. c; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 7-8, 47, 52 Abs. 1; EURL 680/2016 Art. 13, 54
Beteiligte
Bezirkshauptmannschaft Landeck (Tentative d’accès aux données personnelles stockées sur un téléphone portable) |
Bezirkshauptmannschaft Landeck |
Tenor
1.Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates ist im Licht der Art. 7 und 8 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung, die den zuständigen Behörden die Möglichkeit gibt, zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten im Allgemeinen auf die auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten zuzugreifen, nicht entgegensteht, wenn diese Regelung
- die Ausübung dieser Möglichkeit, außer in hinreichend begründeten Eilfällen, einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle unterwirft.
2.Die Art. 13 und 54 der Richtlinie 2016/680 sind im Licht von Art. 47 und von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte
dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den zuständigen Behörden gestattet, zu versuchen, auf Daten zuzugreifen, die auf einem Mobiltelefon gespeichert sind, ohne die betroffene Person im Rahmen der einschlägigen nationalen Verfahren über die Gründe, auf denen die von einem Gericht oder einer unabhängigen Verwaltungsstelle erteilte Gestattung des Zugriffs auf die Daten beruht, zu informieren, sobald die Übermittlung dieser Informationen die den Behörden nach der Richtlinie obliegenden Aufgaben nicht mehr beeinträchtigen kann.
Tatbestand
In der Rechtssache C-548/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Tirol (Österreich) mit Entscheidung vom 1. September 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 6. September 2021, in dem Verfahren
CG
gegen
Bezirkshauptmannschaft Landeck
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, T. von Danwitz und Z. Csehi, der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei sowie der Richter P. G. Xuereb (Berichterstatter), I. Jarukaitis, A. Kumin, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll, K. Ibili und E. Riedl als Bevollmächtigte,
- – der dänischen Regierung, vertreten durch M. P. B. Jespersen, V. Pasternak Jørgensen, M. Søndahl Wolff und Y. T. Thyregod Kollberg als Bevollmächtigte,
- – der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
- – der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,
- – Irlands, vertreten durch M. Browne, Chief State Solicitor, A. Joyce und M. Lane als Bevollmächtigte im Beistand von R. Farrell, SC, D. Fennelly, BL, und D. O’Reilly, Solicitor,
- – der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard, A. Daniel, A.-L. Desjonquères und J. Illouz als Bevollmächtigte,
- – der zyprischen Regierung, vertreten durch I. Neophytou als Bevollmächtigte,
- – der ungarischen Regierung, vertreten durch Zs. Biró-Tóth und M. Z. Fehér als Bevol...