Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersuchen um Vorabentscheidung: Landesarbeitsgericht Hamm – Deutschland. Freizuegigkeit. Arbeitnehmer. Recht der Familienangehörigen auf Ausübung einer Berufstätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis. Gemeinschaftsregelung. Unanwendbarkeit auf einen rein internen, auf einen Mitgliedstaat beschränkten Sachverhalt. Staatsangehöriger eines Drittlands, dessen Ehegatte Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und niemals das Recht auf Freizuegigkeit ausgeuebt hat
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschriften des Vertrages über die Freizuegigkeit und die zu ihrer Durchführung ergangenen Verordnungen sind nicht auf Tätigkeiten anwendbar, die keinerlei Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt, und die mit keinem Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.
Folglich kann sich eine Person, die Staatsangehöriger eines Drittlands und Ehegatte eines Arbeitnehmers mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats ist, nicht auf das Recht aus Artikel 11 der Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft berufen, wenn der betreffende Arbeitnehmer niemals das Recht auf Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeuebt hat.
Normenkette
EWGV 1612/68 Art. 11
Beteiligte
Tenor
Eine Person, die Staatsangehöriger eines Drittlands und Ehegatte eines Arbeitnehmers mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats ist, kann sich nicht auf das Recht aus Artikel 11 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft berufen, wenn der betreffende Arbeitnehmer niemals das Recht auf Freizuegigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeuebt hat.
Gründe
1 Das Landesarbeitsgericht Hamm hat mit Beschlüssen vom 26. Januar 1996 (C-64/96) und vom 1. März 1996 (C-65/96), beim Gerichtshof eingegangen am 8. März 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei – in beiden Rechtssachen gleichlautende – Fragen nach der Auslegung des Artikels 48 Absatz 2 EG-Vertrag sowie der Artikel 7 Absatz 1 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen Frau Ücker bzw. Frau Jacquet und dem Land Nordrhein-Westfalen.
3 Frau Ücker ist norwegische und Frau Jacquet russische Staatsangehörige. Sie unterrichten an deutschen Hochschulen Norwegisch bzw. Russisch, sind mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet und wohnen in Deutschland. Aus den Akten der Ausgangsverfahren geht hervor, daß ihre Ehemänner in Deutschland erwerbstätig sind.
4 Frau Ücker und Frau Jacquet schlossen mit dem Land Nordrhein-Westfalen Arbeitsverträge als Fremdsprachenlektorinnen, und zwar Frau Ücker am 24. September 1990 für eine Tätigkeit an der Universität Münster und Frau Jacquet am 14. März 1994 für eine Tätigkeit an der Universität Bochum. Diese Verträge waren aus verschiedenen Gründen, insbesondere gemäß § 57b Absatz 3 des Hochschulrahmengesetzes (HRG), befristet, und zwar der erstgenannte bis zum 30. September 1994 und der zweitgenannte bis zum 30. September 1996.
5 § 57b Absatz 3 HRG bestimmt:
„Ein sachlicher Grund, der die Befristung eines Arbeitsvertrages mit einer fremdsprachlichen Lehrkraft für besondere Aufgaben rechtfertigt, liegt auch vor, wenn ihre Beschäftigung überwiegend für die Ausbildung in Fremdsprachen erfolgt (Lektor).”
6 Frau Ücker und Frau Jacquet erhoben beim Arbeitsgericht Münster bzw. beim Arbeitsgericht Bochum Klage auf Feststellung, – im Fall von Frau Ücker – daß die Befristung des Arbeitsvertrags ungültig ist und – im Fall von Frau Jacquet – daß zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht.
7 Frau Ücker machte unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes vom 20. Oktober 1993 in der Rechtssache C-272/92 (Spotti, Slg. 1993, I-5185) zur Begründung ihrer Klage geltend, daß § 57b Absatz 3 HRG gegen Artikel 28 des am 1. Januar 1994 in Kraft getretenen Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (nachstehend: EWR-Abkommen) und gegen Artikel 48 Absatz 2 EG-Vertrag verstosse. Daß ihr Arbeitsvertrag vor dem Inkrafttreten des EWR-Abkommens geschlossen worden sei, sei unerheblich, da er im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofes auszulegen sei.
8 Auch Frau Jacquet berief sich zur Begründung ihrer Klage darauf, daß § 57b Absatz 3 HRG nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht mehr anwendbar sei, und stützte sich ausserdem auf das Recht auf Gleichbehandlung gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 1612/68 und Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1251/70 der Kommission vom 29. Juni 1970 über das Recht der Arbeitnehmer, nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben (ABl. L 142, S. 24).
9 Der Klage von Frau Ücker gab das Ar...