Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Rechtsstaatlichkeit. Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen. Grundsätze der Unabsetzbarkeit der Richter und der richterlichen Unabhängigkeit. Herabsetzung des Ruhestandsalters für Richter an den polnischen ordentlichen Gerichten. Möglichkeit, das Richteramt mit Genehmigung des Justizministers über das neu festgelegte Ruhestandsalter hinaus auszuüben. Verbot von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts in Entgelt-, Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Festlegung unterschiedlicher Ruhestandsalter für Frauen und Männer, die als Richter an den polnischen ordentlichen Gerichten und am Są. d Najwyż. szy (Oberstes Gericht, Polen) sowie als Staatsanwälte bei den polnischen Staatsanwaltschaften tätig sind
Normenkette
EUV Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2; Richtlinie 2006/54/EG Art. 5 Buchst. a, Art. 9 Abs. 1 Buchst. f; AEUV Art. 157
Beteiligte
Kommission / Polen (Indépendance des juridictions de droit commun) |
Tenor
1. Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 157 AEUV sowie aus Art. 5 Buchst. a und Art. 9 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen verstoßen, dass sie mit Art. 13 Nrn. 1 bis 3 der Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit und einiger anderer Gesetze) vom 12. Juli 2017 ein unterschiedliches Ruhestandsalter für Frauen und Männer, die als Richter an den polnischen ordentlichen Gerichten und am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) oder als Staatsanwälte bei den polnischen Staatsanwaltschaften tätig sind, eingeführt hat.
2. Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen, dass sie mit Art. 1 Nr. 26 Buchst. b und c des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit und einiger anderer Gesetze vom 12. Juli 2017 den Justizminister (Polen) ermächtigt hat, die Fortsetzung der Amtstätigkeit von Richtern der polnischen ordentlichen Gerichte über das neue, durch Art. 13 Nr. 1 dieses Gesetzes herabgesetzte Ruhestandsalter für diese Richter hinaus zu genehmigen oder nicht zu genehmigen.
3. Die Republik Polen wird zur Tragung der Kosten verurteilt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 15. März 2018,
Europäische Kommission, vertreten durch A. Szmytkowska, K. Banks, C. Valero und H. Krämer als Bevollmächtigte,
Klägerin,
gegen
Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna, K. Majcher und S. Żyrek als Bevollmächtigte im Beistand von M. W. Gontarski, avocat,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Kammerpräsidenten M. Vilaras, E. Regan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, der Richter E. Juhász, M. Ilešič, J. Malenovský, L. Bay Larsen und D. Šváby sowie der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. April 2019,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Juni 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission die Feststellung,
- dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 157 AEUV sowie aus Art. 5 Buchst. a und Art. 9 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23) verstoßen hat, dass sie mit Art. 13 Nrn. 1 bis 3 der Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit und einiger anderer Gesetze) vom 12. Juli 2017 (Dz. U. 2017, Pos. 1452, im Folgenden: Änderungsgesetz vom 12. Juli 2017) ein unterschiedliches Ruhestandsalter für Frauen und Männer, die als Richter an den polnischen ordentlichen Gerichten und am Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) oder als Staatsanwälte bei den polnischen Staatsanwaltschaften tätig sind, eingeführt hat, und
- dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verstoßen hat, dass sie mit Art. 13 Nr. 1 des Änderungsgesetzes vom 12. Juli 2017 das Ruhestandsalter für Richter an den polnischen ordentlichen Geri...