Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrerstattungen, Überprüfbarkeit eines Sanktionsbescheides bei Bestandskraft eines Rückforderungsbescheides
Leitsatz (amtlich)
Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2945/94 der Kommission vom 2. Dezember 1994 ist dahin auszulegen, dass die nationalen Behörden und Gerichte im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen einen auf diese Bestimmung gestützten Sanktionsbescheid auch dann berechtigt sind, zu prüfen, ob der Ausführer im Sinne dieser Bestimmung eine höhere als die ihm zustehende Erstattung beantragt hat, wenn ein Rückforderungsbescheid nach Artikel 11 Absatz 3 Unterabsatz 1 dieser Verordnung vor Erlass des Sanktionsbescheids bestandskräftig geworden ist.
Normenkette
EWGV 3665/87 Art. 11 Abs. 1
Beteiligte
Hauptzollamt Hamburg-Jonas |
Verfahrensgang
Tatbestand
„Landwirtschaft ‐ Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 ‐ Ausfuhrerstattungen ‐ Anwendung einer Sanktion nach dem Erlass eines bestandskräftig gewordenen Bescheides über die Rückforderung einer Erstattung ‐ Möglichkeit der Überprüfung der Sanktionsentscheidung“
In der Rechtssache C-274/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Juni 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juni 2004, in dem Verfahren
ED & F Man Sugar Ltd
gegen
Hauptzollamt Hamburg-Jonas
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, des Richters K. Schiemann, der Richterin N. Colneric sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und E. Levits,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der ED & F Man Sugar Ltd, vertreten durch die Rechtsanwälte H.-J. Prieß und M. Niestedt,
‐ des Hauptzollamts Hamburg-Jonas, vertreten durch G. Seber als Bevollmächtigten,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Braun als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. September 2005
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 11 Absätze 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. L 351, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2945/94 der Kommission vom 2. Dezember 1994 (ABl. L 310, S. 57) (im Folgenden: Verordnung Nr. 3665/87).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ED & F Man Sugar Ltd (im Folgenden: Klägerin) und dem Hauptzollamt Hamburg-Jonas (im Folgenden: Hauptzollamt) darüber, dass das Hauptzollamt gegen die Klägerin nach dem Erlass von Bescheiden über die Rückforderung der gewährten Erstattung gemäß Artikel 11 Absatz 3 der Verordnung Nr. 3665/87 eine Sanktion nach Artikel 11 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe a dieser Verordnung verhängt hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Die erste bis dritte und die fünfte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2945/94 haben folgenden Wortlaut:
„Nach der geltenden Gemeinschaftsregelung werden Ausfuhrerstattungen einzig und allein anhand objektiver Kriterien gewährt, die insbesondere Quantität, Art und Merkmale des Ausfuhrerzeugnisses sowie seine geografische Bestimmung betreffen. Da aufgrund der bisherigen Erfahrungen insbesondere zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts gehende Unregelmäßigkeiten und Betrugsfälle stärker bekämpft werden sollten, müssen zu Unrecht gezahlte Beträge zurückgefordert und Sanktionen vorgesehen werden, welche die Ausführer veranlassen, das Gemeinschaftsrecht einzuhalten.
Damit die Ausfuhrerstattungen ordnungsgemäß gewährt werden, müssen Sanktionen unabhängig vom Anteil subjektiver Schuld verhängt werden. Von der Verhängung einer Sanktion sollte jedoch insbesondere dann abgesehen werden, wenn es sich um einen offensichtlichen, von der zuständigen Behörde anerkannten Irrtum handelt. Vorsatz ist jedoch stärker zu ahnden.
Die Angaben eines Ausführers könnten, sofern der wahre Sachverhalt nicht erkannt wird, unrechtmäßige Zahlungen zur Folge haben. Wird der wahre Sachverhalt festgestellt, so erscheint es angemessen, den Ausführer nach Maßgabe des Betrags zu bestrafen, den er sonst zu Unrecht erhalten hätte. …
…
Die bisher gesammelten Erfahrungen, die in diesem Zusammenhang festgestellten Unregelmäßigkeiten und insbesondere die Betrugsfälle zeigen, dass eine solche Maßnahme sowohl erforderlich als auch angemessen ist, dass sie hinreichend abschreckend sein wird und dass sie in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt werden muss.“
4
Artikel 3 Absätz...