Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Vorvertragliche Pflichten. Pflicht des Kreditgebers, den geeignetsten Kredit zu suchen. Pflicht des Kreditgebers, bei Zweifeln an der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers vom Abschluss eines Darlehensvertrags abzusehen. Pflicht des Kreditgebers zur Beurteilung der Zweckmäßigkeit des Kredits
Normenkette
Richtlinie 2008/48/EG Art. 5 Abs. 6, Art. 8 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
1. Art. 5 Abs. 6 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die den Kreditgebern oder den Kreditvermittlern vorschreibt, für Kreditverträge, die sie gewöhnlich anbieten, die Kreditart und den Kreditbetrag zu suchen, die der Finanzlage des Verbrauchers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und dem Zweck des Kredits am besten entsprechen.
2. Art. 5 Abs. 6 und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegenstehen, die dem Kreditgeber vorschreibt, keinen Kreditvertrag abzuschließen, wenn er nach Abschluss der Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers nicht berechtigterweise annehmen kann, dass Letzterer in der Lage sein wird, die Verbindlichkeiten aus dem geplanten Kreditvertrag zu erfüllen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Justice de paix du canton de Visé (Friedensgericht des Kantons von Visé, Belgien) mit Entscheidung vom 22. Januar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Januar 2018, in dem Verfahren
Michel Schyns
gegen
Belfius Banque SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. November 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Belfius Banque SA, vertreten durch D. Blommaert, advocaat, und P. Algrain, avocate,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und P. Cottin als Bevollmächtigte im Beistand von F. de Patoul, avocat,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García, C. Valero und G. Goddin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. Februar 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 5 Abs. 6 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl. 2011, L 234, S. 46).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Michel Schyns und der Belfius Banque SA (im Folgenden: Belfius), Rechtsnachfolgerin der Dexia Banque Belgique, über einen Darlehensvertrag, den er bei Belfius zur Finanzierung der Installation von Photovoltaikpaneelen durch Home Vision SPRL unterschrieb.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2008/48
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 7, 9, 24, 26, 27 und 44 der Richtlinie 2008/48 heißt es:
„(7) Um die Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts bei Verbraucherkrediten zu erleichtern, muss in einigen Schlüsselbereichen ein harmonisierter gemeinschaftsrechtlicher Rahmen geschaffen werden. Im Hinblick auf die permanente Weiterentwicklung des Marktes für Verbraucherkredite und die zunehmende Mobilität der europäischen Bürger kann ein zukunftsweisendes Gemeinschaftsrecht, das sich künftigen Kreditformen anpassen kann und das den Mitgliedstaaten einen angemessenen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung lässt, zu einem modernen Verbraucherkreditrecht beitragen.
…
(9) Eine vollständige Harmonisierung ist notwendig, um allen Verbrauchern in der Gemeinschaft ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um einen echten Binnenmarkt zu schaffen. Den Mitgliedstaaten sollte es deshalb nicht erlaubt sein, von dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Bestimmungen beizubehalten oder einzuführen. Diese Einschränkung sollte jedoch nur in den Fällen gelten, in denen Vorschriften durch diese Richtlinie harmonisiert werden. Soweit es keine solchen harmonisierten Vorschriften gibt, sollte es den Mitgliedstaaten freigestellt bleiben, innerstaatliche Rechtsvorschriften beizubehalten oder einzuführen. …
…
(24) Der Verbraucher muss vor dem Abschluss des Kreditvertrags umfassend informiert werden, und zwar unabhängig davon, ob ein Kreditvermittler am Absatz des Kredits beteiligt ist. …
…
(26) Die Mitgliedstaaten sollten...