Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Verbraucherkredit. Vorvertragliche Informationspflichten. Pflicht zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers. Beweislast. Beweismittel
Normenkette
Richtlinie 2008/48/EG
Beteiligte
Charline Bonato, geb. Savary |
Tenor
1. Die Vorschriften der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates sind dahin auszulegen, dass
- sie zum einen einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Beweislast für die Nichterfüllung der Verpflichtungen nach den Art. 5 und 8 der Richtlinie 2008/48 dem Verbraucher obliegt, und
- sie zum anderen dem entgegenstehen, dass der Richter aufgrund einer Standardklausel annehmen muss, dass der Verbraucher die korrekte und vollständige Erfüllung der dem Kreditgeber obliegenden vorvertraglichen Verpflichtungen bestätigt hat, und diese Klausel daher eine Umkehr der Beweislast für die Erfüllung dieser Verpflichtungen nach sich zieht, die die Effektivität der aus der Richtlinie 2008/48 resultierenden Rechte gefährden könnte.
2. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er zum einen einer Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers einzig auf Grundlage der von diesem erteilten Auskünfte nicht entgegensteht, vorausgesetzt, dass diese Auskünfte ausreichen und einfachen Angaben des Verbrauchers Belege beigefügt sind, und dass er zum anderen den Kreditgeber nicht dazu verpflichtet, die Richtigkeit der vom Verbraucher erteilten Auskünfte systematisch zu überprüfen.
3. Art. 5 Abs. 6 der Richtlinie 2008/48 ist dahin auszulegen, dass er zwar der Erteilung angemessener Erläuterungen durch den Kreditgeber an den Verbraucher vor Bewertung der finanziellen Situation und der Bedürfnisse des Verbrauchers nicht entgegensteht, sich aber herausstellen kann, dass die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers eine Anpassung der erteilten angemessenen Erläuterungen erfordert, die dem Verbraucher rechtzeitig, vor Unterzeichnung des Kreditvertrags, mitzuteilen sind, ohne dass jedoch ein spezifisches Dokument zu erstellen wäre.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal d'instance d'Orléans (Frankreich) mit Entscheidung vom 5. August 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 12. August 2013, in dem Verfahren
CA Consumer Finance SA
gegen
Ingrid Bakkaus,
Charline Bonato, geb. Savary,
Florian Bonato
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterinnen A. Prechal (Berichterstatterin) und K. Jürimäe,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Juli 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der CA Consumer Finance SA, vertreten durch B. Soltner, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und S. Menez als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigtem,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany-Hornung und M. Van Hoof als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. September 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5 und 8 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40 und ABl. 2011, L 234, S. 46).
Rz. 2
Dieses Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der CA Consumer Finance SA (im Folgenden: CA CF) und zum einen Frau Bakkaus sowie zum anderen Frau Bonato, geb. Savary, und Herrn Bonato (im Folgenden gemeinsam: die Kreditnehmer) auf Zahlung ausstehender Beträge von persönlichen Krediten, die CA CF den Kreditnehmern gewährt hatte und hinsichtlich deren Letztere in Zahlungsverzug sind.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 7, 9, 19, 24 und 26 bis 28 der Richtlinie 2008/48 heißt es:
(7) Um die Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts bei Verbraucherkrediten zu erleichtern, muss in einigen Schlüsselbereichen ein harmonisierter gemeinschaftsrechtlicher Rahmen geschaffen werden. …
…
(9) Eine vollständige Harmonisierung ist notwendig, um allen Verbrauchern in der Gemeinschaft ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um einen echten Binnenmarkt zu schaffen. Den Mitgliedstaaten sollte es deshalb nicht erlaubt sein, von dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Bestimmungen beizu...