Entscheidungsstichwort (Thema)

Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Rahmenbeschluss 2002/584/JI. Europäischer Haftbefehl und Übergabeverfahren zwischen Mitgliedstaaten. Art. 4 Nr. 6. Grund, aus dem die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann. Umsetzung in das nationale Recht. Verhaftete Person, die die Staatsangehörigkeit des ausstellenden Mitgliedstaats besitzt. Nichtvollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch den Vollstreckungsmitgliedstaat bei einem fünfjährigen Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet. Art. 12 EG

 

Beteiligte

Wolzenburg

Dominic Wolzenburg

 

Tenor

1. Ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, hat das Recht, sich gegenüber einer nationalen Regelung wie dem Übergabegesetz (Overleveringswet) vom 29. April 2004, die die Voraussetzungen festlegt, unter denen die zuständige Justizbehörde die Vollstreckung eines zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls verweigern kann, auf Art. 12 Abs. 1 EG zu berufen.

2. Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass der Vollstreckungsmitgliedstaat für die Anwendung des in dieser Vorschrift vorgesehenen Grundes, aus dem die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls verweigert werden kann, neben Anforderungen an die Aufenthaltsdauer in diesem Staat keine ergänzenden verwaltungsrechtlichen Anforderungen wie den Besitz einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung stellen kann.

3. Art. 12 Abs. 1 EG ist dahin auszulegen, dass er den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach die zuständige Justizbehörde dieses Staates die Vollstreckung eines gegen einen seiner Staatsangehörigen zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ausgestellten Europäischen Haftbefehls verweigert, während eine solche Verweigerung im Fall eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der ein auf Art. 18 Abs. 1 EG gestütztes Aufenthaltsrecht hat, voraussetzt, dass sich dieser Staatsangehörige rechtmäßig fünf Jahre lang ununterbrochen im Hoheitsgebiet dieses Vollstreckungsmitgliedstaats aufgehalten hat.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 35 EU und 234 EG, eingereicht von der Rechtbank Amsterdam (Niederlande) mit Entscheidung vom 28. Dezember 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 21. März 2008, in dem Verfahren betreffend die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen

Dominic Wolzenburg

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, K. Lenaerts und M. Ilešič sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, J. Malenovský, J. Klučka, U. Lõhmus und L. Bay Larsen (Berichterstatter),

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 17. März 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 21. März 2008, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 104b der Verfahrensordnung dem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Dritten Kammer des Gerichtshofs vom 2. April 2008, das Vorabentscheidungsersuchen nicht dem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund des nach Art. 104b § 2 Abs. 5 der Verfahrensordnung durchgeführten schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Februar 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Wolzenburg, vertreten durch D. Wiersum und J. van der Putte, advocaten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. Noort als Bevollmächtigte,
  • der dänischen Regierung, vertreten durch C. Pilgaard Zinglersen als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Niollet als Bevollmächtigte,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl und T. Fülöp als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
  • der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch S. Grünheid und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. März 2009

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Nr. 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 190, S. 1) und von Art. 12 EG.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens betreffend die Vollstreckung eines am 13. Juli 2006 von der Staatsanwaltschaft Aachen (im Folgenden: deutsche ausstellende Justizbehörde) gegen Herrn Wolzenburg, einen deutschen Staatsangehörigen, ausgestellten Europäischen Haftbefehls durch die Internationale Rechtshulpkamer der Rechtbank Amsterdam (Internationale R...

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