Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Gegenseitige Anerkennung. Geldstrafen und Geldbußen. Gründe für die Versagung der Anerkennung oder der Vollstreckung. Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße. Wahrung der Verteidigungsrechte. Zustellung von Dokumenten in einer Sprache, die die Person, gegen die die Sanktion verhängt wurde, nicht versteht. Übersetzung der wesentlichen Bestandteile der Entscheidung

 

Normenkette

Rahmenbeschluss 2005/214/JI Art. 20 Abs. 3

 

Beteiligte

Prokuratura Rejonowa Łódz-Bałuty

D.P

 

Tenor

Art. 20 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es der Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats erlaubt, die Vollstreckung einer Entscheidung im Sinne von Art. 1 Buchst. a dieses Rahmenbeschlusses, mit der eine Geldstrafe oder Geldbuße wegen eines Verkehrsverstoßes verhängt wurde, zu verweigern, wenn diese Entscheidung ihrem Adressaten zugestellt wurde, ohne dass ihr eine Übersetzung – in einer Sprache, die er versteht – derjenigen Bestandteile der Entscheidung beigefügt wurde, die wesentlich sind, damit er verstehen kann, was ihm vorgeworfen wird, und seine Verteidigungsrechte vollumfänglich ausüben kann, und ohne dass ihm die Möglichkeit gegeben wurde, auf Anfrage eine solche Übersetzung zu erhalten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla Łodzi-Řródmieścia w Łodzi (Rayongericht Lodz-Stadtmitte in Lodz, Polen) mit Entscheidung vom 7. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2020, in dem Verfahren über die Anerkennung und Vollstreckung einer Geldbuße gegen

D.P.,

Beteiligte:

Prokuratura Rejonowa Łódz-Bałuty,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter L. Bay Larsen, M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Prokuratura Rejonowa Łódz-Bałuty, vertreten durch J. Szubert, Prokurator Regionalny,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, P. Huurnink und J. Langer als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Rynkowski und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. September 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 Abs. 3 des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen (ABl. 2005, L 76, S. 16) in der durch den Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 (ABl. 2009, L 81, S. 24) geänderten Fassung (im Folgenden: Rahmenbeschluss 2005/214).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens, das das Centraal Justitieel Incassobureau, Ministerie van Veiligheid en Justitie (CJIB) (Zentrales Justizinkassobüro, Ministerium für Sicherheit und Justiz [CJIB], Niederlande) betreibt, um in Polen die Anerkennung und Vollstreckung einer Geldbuße zu erreichen, die gegen D.P. in den Niederlanden wegen einer Zuwiderhandlung gegen Straßenverkehrsvorschriften verhängt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 1 und 2 des Rahmenbeschlusses 2005/214 heißt es:

„(1) Der Europäische Rat unterstützte auf seiner Tagung am 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der [Europäischen] Union werden sollte.

(2) Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung sollte für Geldstrafen oder Geldbußen von Gerichts- oder Verwaltungsbehörden gelten, um die Vollstreckung solcher Geldstrafen oder Geldbußen in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem sie verhängt worden sind, zu erleichtern.”

Rz. 4

Art. 1 („Begriffsbestimmungen”) des Rahmenbeschlusses 2005/214 bestimmt:

„Im Sinne dieses Rahmenbeschlusses bezeichnet der Ausdruck

a) ‚Entscheidung’ eine rechtskräftige Entscheidung über die Zahlung einer Geldstrafe oder Geldbuße durch eine natürliche oder juristische Person, die

ii) von einer nicht gerichtlichen Behörde des Entscheidungsstaats in Bezug auf eine nach dessen Recht strafbare Handlung getroffen wurde, vorausgesetzt, dass die betreffende Person die Möglichkeit hatte, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen;

iii) von einer nicht gerichtlichen Behörde des Entscheidungsstaats in Bezug auf Ha...

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