Entscheidungsstichwort (Thema)

ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR DE CASSATION – GROSSHERZOGTUM LUXEMBURG. FREIER WARENVERKEHR – MASSNAHMEN GLEICHER WIRKUNG – NATIONALES VERBOT, DIE DAUER UND DEN FRUEHEREN PREIS EINES VERKAUFSANGEBOTS ZU VEROEFFENTLICHEN. 1. Freier Warenverkehr – Mengenmässige Beschränkungen – Maßnahmen gleicher Wirkung – Begriff – Beschränkungen der grenzueberschreitenden Werbung (EWG-Vertrag, Artikel 30, 31 und 36). 2. Freier Warenverkehr – Mengenmässige Beschränkungen – Maßnahmen gleicher Wirkung – Verbot, in der Werbung für ein Sonderangebot dessen Dauer und den früheren Preis anzugeben – Anwendung auf eine in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig durchgeführte Werbeaktion – Unzulässigkeit – Rechtfertigung – Verbraucherschutz – Keine Rechtfertigung (EWG-Vertrag, Artikel 30 und 36)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Rechtsvorschriften, die bestimmte Formen der Werbung und bestimmte Methoden der Absatzförderung beschränken oder verbieten, können, obwohl sie den Handel nicht unmittelbar regeln, geeignet sein, das Handelsvolumen zu beschränken, weil sie die Absatzmöglichkeiten beeinträchtigen.

Der freie Warenverkehr betrifft nicht nur den gewerblichen Handel, sondern auch Privatpersonen. Dies bedeutet insbesondere für Grenzgebiete, daß es dem in einem Mitgliedstaat ansässigen Verbraucher möglich sein muß, sich frei in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begeben zu können, um dort unter denselben Bedingungen wie die ortsansässige Bevölkerung einzukaufen. Dieses Recht der Verbraucher wird beeinträchtigt, wenn ihnen der Zugang zu dem im Einkaufsland erhältlichen Werbematerial verwehrt wird. Ein Verbot, derartiges Werbematerial zu verbreiten, muß folglich in den Geltungsbereich der Artikel 30, 31 und 36 EWG-Vertrag fallen.

2. Nach den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag dürfen nationale Rechtsvorschriften, wonach es verboten ist, in der geschäftlichen Werbung für ein Sonderangebot die Dauer des Angebots und den früheren Preis anzugeben, auf eine in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig durchgeführte Werbeaktion nicht angewandt werden.

Da das Gemeinschaftsrecht eines der grundlegenden Erfordernisse des Verbraucherschutzes in der Unterrichtung der Verbraucher sieht, kann Artikel 30 EWG-Vertrag nicht in dem Sinne ausgelegt werden, daß nationale Rechtsvorschriften, die den Verbrauchern den Zugang zu bestimmten Informationen verwehren, durch zwingende Erfordernisse des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden könnten.

 

Normenkette

EWGVtr Art. 30-31, 36

 

Beteiligte

GB-INNO-BM SA

Confédération du commerce luxembourgeois ASBL

 

Tenor

Die Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag sind dahin auszulegen, daß nationale Rechtsvorschriften, wonach es verboten ist, in der geschäftlichen Werbung für ein Sonderangebot die Dauer des Angebots und den früheren Preis anzugeben, auf eine in einem anderen Mitgliedstaat rechtmässig durchgeführte Werbeaktion nicht angewandt werden dürfen.

 

Gründe

1 Die Cour de cassation des Großherzogtums Luxemburg hat mit Urteil vom 8. Dezember 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Dezember 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 30, 31 Absatz 1 und 36 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob eine nationale Regelung auf dem Gebiet der geschäftlichen Werbung mit diesen Bestimmungen vereinbar ist.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Confédération du commerce luxembourgeois (nachstehend: CCL), einem Verein ohne Gewinnzweck, der nach eigenem Bekunden die Interessen des luxemburgischen Handels vertritt, und der belgischen Aktiengesellschaft GB-INNO-BM, die im belgischen Hoheitsgebiet, unter anderem bei Arlon, nahe der belgisch-luxemburgischen Grenze, Supermärkte betreibt. Als die belgische Gesellschaft sowohl in Belgien als auch im Großherzogtum Werbeschriften verteilen ließ, beantragte die CCL bei einem luxemburgischen Gericht, im Wege der einstweiligen Verfügung die Einstellung der Verteilung dieser Prospekte anzuordnen. Die CCL machte geltend, die in den Prospekten enthaltene Werbung verstosse gegen die großherzogliche Verordnung vom 23. Dezember 1974 über den unlauteren Wettbewerb (Mémorial A 1974, S. 2392), wonach bei Angeboten, die mit einem Preisnachlaß verbunden sind, weder die Dauer des Angebots angegeben noch auf die früheren Preise hingewiesen werden darf.

3 Der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen des Tribunal d' arrondissement Luxemburg gab dem Antrag auf einstweilige Verfügung mit der Begründung statt, die Verteilung der betreffenden Prospekte stelle ein nach der großherzoglichen Verordnung von 1974 unzulässiges Verkaufsangebot und eine nach derselben Verordnung verbotene unlautere Praxis dar. Dieser Beschluß wurde von der Cour d' appel bestätigt. Hiergegen legte die Firma GB-Inno-BM Kassationsbeschwerde ein. Sie machte geltend, die in den Prospekten enthaltene Werbung stehe im Einklang mit den belgischen Rechtsvorschriften über den unlauteren Wettbewerb; daher verstosse es gegen Artikel 30 EWG-Vertr...

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