Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen. Ausschließliche Zuständigkeiten. Gültigkeit der Beschlüsse der Organe einer Gesellschaft oder juristischen Person mit Sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats. Ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaats. Beschluss der Hauptversammlung einer Gesellschaft, mit dem die zwangsweise Übertragung der Beteiligungen von Minderheitsaktionären der Gesellschaft an den Mehrheitsaktionär angeordnet und zugleich die Höhe der Abfindung festgelegt wird, die der Mehrheitsaktionär den Minderheitsaktionären zu zahlen verpflichtet ist. Gerichtsverfahren zur Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 22 Nr. 2
Beteiligte
Tenor
Art. 22 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass für eine Klage wie die im Ausgangsrechtsstreit, die auf die Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung gerichtet ist, die der Mehrheitsaktionär einer Gesellschaft den Minderheitsaktionären im Fall der zwangsweisen Übertragung ihrer Anteile an den Mehrheitsaktionär zu zahlen verpflichtet ist, ausschließlich die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig sind, in dem diese Gesellschaft ihren Sitz hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 20. September 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 4. November 2016, in dem Verfahren
E.ON Czech Holding AG
gegen
Michael Dědouch,
Petr Streitberg,
Pavel Suda,
Beteiligte:
Jihočeská plynárenská, a.s.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, S. Rodin und E. Regan,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der E.ON Czech Holding AG, vertreten durch D. Vosol, advokát,
- von Herrn Dědouch, Herrn Streitberg und Herrn Suda, vertreten durch P. Zima, advokát,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und J. Hradil als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. November 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 3 sowie Art. 22 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der E.ON Czech Holding AG (im Folgenden: E.ON) auf der einen Seite und Michael Dědouch, Petr Streitberg und Pavel Suda auf der anderen Seite wegen der Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung, die E.ON den Minderheitsaktionären nach einer zwangsweisen Übertragung ihrer Beteiligungen an der Jihočeská plynárenská, a.s. für ihren Ausschluss zu zahlen verpflichtet ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 2, 11 und 12 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:
„(2) Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen.
…
(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.
(12) Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung sieht vor:
„Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit...