Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Zuständigkeit für Klagen aus Vertrag. Zuständigkeit für Verbrauchersachen. Ausgleichsanspruch bei großer Verspätung eines Flugs. Zwischen dem Fluggast und einem Reisebüro geschlossener und kombinierte Beförderungs- und Unterbringungsleistungen vorsehender Reisevertrag. Klage auf Ausgleichsleistung gegen ein Luftfahrtunternehmen, das nicht Partei dieses Vertrags ist. Pauschalreise
Normenkette
EGV 44/2001 Art. 5 Nr. 1, Art. 15-17; Richtlinie 90/314/EWG; EGV 261/2004 Art. 6-7
Beteiligte
Primera Air Scandinavia A/S |
Tenor
1. Die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein Fluggast eines um mindestens drei Stunden verspäteten Fluges gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen eine Klage auf Ausgleichszahlung nach den Art. 6 und 7 dieser Verordnung erheben kann, selbst wenn zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen kein Vertrag geschlossen wurde und der fragliche Flug Bestandteil einer Pauschalreise im Sinne der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen ist.
2. Art. 5 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass eine nach der Verordnung Nr. 261/2004 von einem Fluggast gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen erhobene Klage auf Ausgleichsleistung unter den Begriff „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag” im Sinne dieser Bestimmung fällt, selbst wenn zwischen diesen Parteien kein Vertrag geschlossen wurde und der vom Luftfahrtunternehmen durchgeführte Flug in einem mit einem Dritten geschlossenen Pauschalreisevertrag, der auch eine Unterbringung einschloss, vorgesehen war.
3. Die Art. 15 bis 17 der Verordnung Nr. 44/2001 sind dahin auszulegen, dass eine von einem Fluggast gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, erhobene Klage auf Ausgleichsleistung nicht in den Anwendungsbereich dieser Artikel fällt, die die besondere Zuständigkeit bei Verbrauchersachen betreffen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obvodní soud pro Prahu 8 (Bezirksgericht Prag 8, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 25. Januar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 26. März 2018, in dem Verfahren
Libuše Králová
gegen
Primera Air Scandinavia A/S
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters M. Safjan (Berichterstatter), des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters N. Jääskinen,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Šimerdová und M. Heller als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. November 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 1 und der Art. 15 bis 17 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) sowie der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Libuše Králová und der Primera Air Scandinavia A/S, einer Handelsgesellschaft im Luftverkehr mit Sitz in Dänemark (im Folgenden: Primera), betreffend eine Klage auf Ausgleichsleistung nach der Verordnung Nr. 261/2004 wegen der großen Verspätung auf einem durch Primera durchgeführten Flug von Prag (Tschechische Republik) nach Keflavík (Island).
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 44/2001
Rz. 3
Die Verordnung Nr. 44/2001 wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) aufgehoben. Allerdings i...