Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Warenverkehr. Art. 34 AEUV. Prozesskostensicherheit. Gesellschaft monegassischen Rechts. Art. 18 Abs. 1 AEUV
Beteiligte
Francesco Guarnieri & Cie |
Francesco Guarnieri & Cie |
Tenor
Art. 34 AEUV ist dahin auszulegen, dass er nicht den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die Leistung einer Prozesskostensicherheit von einem Kläger mit monegassischer Staatsangehörigkeit verlangen, der bei einem Zivilgericht dieses Staates eine Klage gegen einen Staatsangehörigen dieses Staates auf Bezahlung von Rechnungen für die Lieferung von Gemeinschaftswaren gleichgestellten Waren erhoben hat, während ein solches Erfordernis für Angehörige dieses Mitgliedstaats nicht aufgestellt wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Rechtbank van Koophandel te Brussel (Belgien) mit Entscheidung vom 17. Juli 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juli 2009, in dem Verfahren
Francesco Guarnieri & Cie
gegen
Vandevelde Eddy VOF
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter J.-J. Kasel, A. Borg Barthet, E. Levits und M. Safjan (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der belgischen Regierung, vertreten durch T. Materne als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J.-B. Laignelot und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. September 2010
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 28 EG bis 30 EG.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Francesco Guarnieri & Cie (im Folgenden: Guarnieri), einer Gesellschaft monegassischen Rechts mit Sitz in Monaco, gegen die Vandevelde Eddy VOF (im Folgenden: Vandevelde) mit Gesellschaftssitz in Belgien, in dem es um die Lieferung verschiedener Waren und deren Bezahlung geht.
Rechtlicher Rahmen
Der Zollkodex der Gemeinschaft
Rz. 3
Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1), jetzt ersetzt durch Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (ABl. L 145, S. 1), sieht vor:
„Die folgenden Gebiete, die außerhalb des Gebiets der Mitgliedstaaten liegen, gelten mit Rücksicht auf die für sie geltenden Abkommen und Verträge als zum Zollgebiet der Gemeinschaft gehörig:
…
b) FRANKREICH:
Das Gebiet des Fürstentums Monaco, so wie es in dem in Paris am 18. Mai 1963 unterzeichneten Zollabkommen festgelegt ist (Journal officiel de la République française vom 27. September 1963, S. 8679)”.
Das belgische Recht
Rz. 4
Art. 851 des belgischen Gerichtsgesetzbuchs (im Folgenden: Gerechtelijk Wetboek) bestimmt:
„Außer im Fall von Übereinkünften, mit denen die Staaten für ihre Staatsangehörigen die Befreiung von der Prozesskostensicherheit vorgesehen haben, sind alle Ausländer als Kläger oder Streithelfer verpflichtet, wenn der belgische Beklagte dies vor jeder Einrede verlangt, Sicherheit für die Kosten des Verfahrens und Entschädigungen zu leisten, zu denen sie verurteilt werden können. Der Beklagte kann die Sicherheitsleistung auch erstmals im Rechtsmittelverfahren verlangen, wenn er Rechtsmittelgegner ist.”
Rz. 5
Aus den Akten geht nicht hervor, dass eine Übereinkunft bestünde, die es Gesellschaften monegassischen Rechts erlaubte, von der Leistung der Prozesskostensicherheit befreit zu werden.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage
Rz. 6
Die Aktiengesellschaft Fourcroy hatte bei Vandevelde 21 000 „twister-glazen” (Gläser) und 100 000 Teelichter nebst Zubehör für eine Werbeaktion zur Förderung des Absatzes von Flaschen von „Mandarine Napoléon” bestellt. Vandevelde hatte für diese Bestellung Guarnieri als Subunternehmerin verpflichtet.
Rz. 7
Nach den Ausführungen von Vandevelde erfüllte Guarnieri ihre Lieferverpflichtung nicht ordnungsgemäß. Die Lieferung sei nicht nur verspätet erfolgt, sondern habe auch nicht der Bestellung entsprochen, da 65 % der „twister-glazen” zerbrochen, die intakten Gläser verschmutzt und die Kunststoffverpackungen zerbrochen gewesen seien (3 000 Stück) und da ferner der Werbeaufkleber auf der falschen Seite aufgebracht gewesen sei. Daher habe Vandevelde die Erfüllung ihrer Zahlungspflicht abgelehnt.
Rz. 8
Daraufhin erhob Guarnieri Klage bei der Rechtbank van koophandel te Brussel (Handelsgericht Brüssel) auf im Wesentlichen Verurteilung von Vandevelde zur Zahlung der rückständigen Rechnungsbeträge zuzüglich Verzugszinsen. Im Wege der Widerklage beantragte Vandevelde die Verurteilung von Guarnieri zur Leistung von Ersatz für den ihr entstandenen materiellen Schaden und den ihr entgangenen Gewinn zuzüglich Verzugszinsen.
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