Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsschutzversicherung. Freie Wahl des Rechtsanwalts durch den Versicherungsnehmer. Gerichts- oder Verwaltungsverfahren. Begriff. Widerspruch gegen die Versagung der Bewilligung einer Behandlung

 

Normenkette

Richtlinie 87/344/EWG – Art. 4 Abs. 1

 

Beteiligte

Büyüktipi

Gökhan Büyüktipi

Achmea Schadeverzekeringen NV

Stichting Achmea Rechtsbijstand

 

Tenor

Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „Verwaltungsverfahren” auch die Widerspruchsphase bei einem öffentlichen Organ umfasst, in der dieses Organ eine Entscheidung erlässt, die gerichtlich angefochten werden kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gerechtshof Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam, Niederlande) mit Entscheidung vom 23. Dezember 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Januar 2015, in dem Verfahren

Gökhan Büyüktipi

gegen

Achmea Schadeverzekeringen NV,

Stichting Achmea Rechtsbijstand

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter) sowie der Richter A. Borg Barthet und E. Levits,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Achmea Schadeverzekeringen NV und von Stichting Achmea Rechtsbijstand, vertreten durch F. E. Vermeulen, P. R. van der Vorst und A. I. M. van Mierlo, advocaten,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Wilman und K.-P. Wojcik als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344/EWG des Rates vom 22. Juni 1987 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung (ABl. L 185, S. 77).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Büyüktipi einerseits und der Achmea Schadeverzekeringen NV und Stichting Achmea Rechtsbijstand andererseits (im Folgenden zusammen: Gesellschaften Achmea) wegen der Ablehnung der Übernahme der Anwaltskosten, die im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens vor einer öffentlichen Einrichtung betreffend einen Antrag auf Bewilligung einer besonderen medizinischen Behandlung entstanden sind.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 87/344 lautet:

„Das Interesse des Rechtsschutzversicherten setzt voraus, dass Letzterer selbst seinen Rechtsanwalt oder eine andere Person wählen kann, die die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften im Rahmen von Gerichts- und Verwaltungsverfahren anerkannten Qualifikationen besitzt, und zwar immer, wenn es zu einer Interessenkollision kommt.”

Rz. 4

Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt für die Rechtsschutzversicherung. Diese besteht darin, dass gegen Zahlung einer Prämie die Verpflichtung eingegangen wird, die Kosten des Gerichtsverfahrens zu übernehmen und andere sich aus dem Versicherungsvertrag ergebende Leistungen zu erbringen, insbesondere um

  • dem Versicherten den Schaden auf außergerichtlichem Wege oder durch ein Zivil- oder Strafverfahren zu ersetzen,
  • den Versicherten in einem Zivil-, Straf-, Verwaltungs- oder anderen Verfahren oder im Fall einer gegen ihn gerichteten Forderung zu verteidigen oder zu vertreten.”

Rz. 5

In Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in ihrem Gebiet ansässigen Unternehmen gemäß der von dem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Regelung oder, sofern der Mitgliedstaat dies gestattet, nach ihrer Wahl wenigstens eine der folgenden Alternativlösungen anwenden:

  1. Entweder muss das Unternehmen sicherstellen, dass ein Mitglied des Personals, das sich mit der Schadensverwaltung des Zweiges Rechtsschutz oder der Rechtsberatung für diese Verwaltung befasst, nicht gleichzeitig eine ähnliche Tätigkeit ausübt, und zwar

  2. oder das Unternehmen muss die Schadensverwaltung des Zweiges Rechtsschutz einem rechtlich selbständigen Unternehmen übertragen …
  3. oder das Unternehmen muss in dem Vertrag vorsehen, dass der Versicherte das Recht hat, die Vertretung seiner Interessen, sobald er das Tätigwerden des Versicherers aufgrund der Police verlangen kann, einem Rechtsanwalt seiner Wahl, oder soweit das nationale Recht dies zulässt, jeder anderen entsprechend qualifizierten Person zu übertragen.”

Rz. 6

Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 87/344 bestimmt:

„In jedem Rechtsschutz-Versicherungsvertrag ist ausdrücklich anzuerkennen, dass

  1. wenn ein Rechtsanwalt oder eine sonstige nach dem nationalen Recht entsprechend qualifizier...

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