Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Landwirtschaft. Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums. Vorruhestandsbeihilfe. Nationale Rechtsvorschriften, die die Übertragung der Vorruhestandsbeihilfe durch Vererbung vorsehen. Von der Europäischen Kommission genehmigte Rechtsvorschriften. Spätere Änderung des Standpunkts. Vertrauensschutz
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 Art. 10-12
Beteiligte
Administratīvā rajona tiesa |
Tenor
1. Die Art. 10 bis 12 der Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) und zur Änderung bzw. Aufhebung bestimmter Verordnungen ist dahin auszulegen, dass sie es den Mitgliedstaaten verbieten, im Rahmen der Durchführung dieser Artikel Maßnahmen zu erlassen, nach denen eine Vorruhestandsbeihilfe wie die im Ausgangsverfahren fragliche durch Vererbung übertragen werden kann.
2. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist dahin auszulegen, dass eine nationale Rechtsvorschrift wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die die Übertragung einer Vorruhestandsbeihilfe durch Vererbung vorsah und von der Europäischen Kommission als mit der Verordnung Nr. 1257/1999 vereinbar genehmigt wurde, bei den Erben der Landwirte, die Empfänger dieser Beihilfe waren, ein berechtigtes Vertrauen begründet hat und dass eine Schlussfolgerung wie diejenige, die im Protokoll der Sitzung des Ausschusses für die Entwicklung des ländlichen Raums der Europäischen Kommission vom 19. Oktober 2011 angeführt ist und wonach die Vorruhestandsbeihilfe nicht durch Vererbung übertragen werden kann, dieses berechtigte Vertrauen nicht beendet hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Latvijas Republikas Satversmes tiesa (Verfassungsgerichtshof, Lettland) mit Entscheidung vom 28. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 7. März 2017, in dem Verfahren
Administratīvā rajona tiesa
gegen
Ministru kabinets
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Malenovský sowie der Richter D. Šváby und M. Vilaras (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina und G. Bambāne als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Aquilina und I. Naglis als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Mai 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 10 bis 12 der Verordnung (EG) Nr. 1257/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raums durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) und zur Änderung bzw. Aufhebung bestimmter Verordnungen (ABl. 1999, L 160, S. 80) sowie des Grundsatzes des Vertrauensschutzes.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Antrags der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) auf Normenkontrolle anlässlich eines Rechtsstreits zwischen mehreren Privatpersonen und dem Lauku atbalsta dienests (Dienst zur Unterstützung des ländlichen Raums, Lettland) wegen der Gültigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge über die Gewährung der Vorruhestandsbeihilfe in der Landwirtschaft auf der Grundlage der Art. 10 bis 12 der Verordnung Nr. 1257/1999.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 23. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1257/1999 lautete:
„Der vorzeitige Ruhestand in der Landwirtschaft sollte gefördert werden, um die Wirtschaftlichkeit der landwirtschaftlichen Betriebe zu verbessern. Dabei ist den Erfahrungen mit der Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 2079/92 [des Rates vom 30. Juni 1992 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Beihilferegelung für den Vorruhestand in der Landwirtschaft (ABl. 1992, L 215, S. 91] Rechnung zu tragen.”
Rz. 4
Kapitel IV „Vorruhestand”) in Titel II „Maßnahmen zur Entwicklung des ländlichen Raums”) der Verordnung Nr. 1257/1999 enthielt die Art. 10 bis 12. Art. 10 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmte:
„Die Vorruhestandsbeihilfen dienen folgenden Zielen:
- Sicherung eines Einkommens für ältere Landwirte, die die Landwirtschaft einstellen wollen;
- Förderung der Ablösung dieser älteren Landwirte durch Landwirte, die erforderlichenfalls die Wirtschaftlichkeit der weiterbestehenden Betriebe verbessern können;
- Umwidmung landwirtschaftlicher Flächen für eine nichtlandwirtschaftliche Nutzung, wo die landwirtschaftliche Nutzung unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten nicht mehr in zufriedenstellender Weise möglich ist.”
Rz. 5
Art. 11 Abs. 1 und 5 der Verordnung sah vor:
„(1) Die Person, die einen landwirtschaftlichen Betrieb abgibt, muss
- jegliche landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit endgültig ...