Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Unternehmenszusammenschluss. Geltungsbereich. Begriff ‚Zusammenschluss’. Änderung der Art der Kontrolle über ein bestehendes Unternehmen von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle. Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, das auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 139/2004 Art. 3 Abs. 1 Buchst. b; Verordnung (EG) Nr. 139/2004 Art. 3 Abs. 4
Beteiligte
Austria Asphalt GmbH & Co. OG |
Tenor
Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen „EG-Fusionskontrollverordnung”) ist dahin auszulegen, dass infolge einer Änderung der Art der Kontrolle über ein bestehendes Unternehmen von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle nur dann ein Zusammenschluss bewirkt wird, wenn das daraus hervorgegangene Gemeinschaftsunternehmen auf Dauer alle Funktionen einer selbständigen wirtschaftlichen Einheit erfüllt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 31. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Mai 2016, in dem Verfahren
Austria Asphalt GmbH & Co. OG
gegen
Bundeskartellanwalt
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter) sowie der Richter A. Borg Barthet, E. Levits und F. Biltgen,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: X. Lopez Bancalari, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Austria Asphalt GmbH & Co. OG, vertreten durch die Rechtsanwälte B. Kofler-Senoner, S. Huber, M. Mayer und H. Kristoferitsch,
- des Bundeskartellanwalts, vertreten durch A. Mair, H. L. Majer und G. Stifter als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Christoforou, H. Leupold und M. Farley als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. April 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen „EG-Fusionskontrollverordnung”) (ABl. 2004, L 24, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Austria Asphalt GmbH & Co. OG (im Folgenden: Austria Asphalt) und dem Bundeskartellanwalt über einen behaupteten Zusammenschluss.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 5, 6, 8 und 20 der Verordnung Nr. 139/2004 heißt es:
„(5) [Es] ist zu gewährleisten, dass der Umstrukturierungsprozess nicht eine dauerhafte Schädigung des Wettbewerbs verursacht. Das Gemeinschaftsrecht muss deshalb Vorschriften für solche Zusammenschlüsse enthalten, die geeignet sind, wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich zu beeinträchtigen.
(6) Daher ist ein besonderes Rechtsinstrument erforderlich, das eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Gemeinschaft ermöglicht und das zugleich das einzige auf derartige Zusammenschlüsse anwendbare Instrument ist. Mit der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 konnte eine Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich entwickelt werden. Es ist jedoch nunmehr an der Zeit, vor dem Hintergrund der gewonnenen Erfahrung die genannte Verordnung neu zu fassen, um den Herausforderungen eines stärker integrierten Markts und der künftigen Erweiterung der Europäischen Union besser gerecht [zu] werden. Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Artikel 5 des Vertrags geht die vorliegende Verordnung nicht über das zur Erreichung ihres Ziels, der Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt entsprechend dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, erforderliche Maß hinaus.
…
(8) Die Vorschriften dieser Verordnung sollten für bedeutsame Strukturveränderungen gelten, deren Auswirkungen auf den Markt die Grenzen eines Mitgliedstaats überschreiten. Solche Zusammenschlüsse sollten grundsätzlich nach dem Prinzip der einzigen Anlaufstelle und im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip ausschließlich auf Gemeinschaftsebene geprüft werden. Unternehmenszusammenschlüsse, die nicht im Anwendungsbereich dieser Verordnung liegen, fallen grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten.
…
(20) Der Begriff des Zusammenschlusses ist so zu definieren, dass er Vorgänge erfasst, die zu einer dauerhaften Veränderung der Kontrolle an den beteiligten Unternehmen und damit an der Marktstruktur führen. In den Anwendungsbereich dieser Verordnung sollten daher auch alle Gemeinschaftsunternehmen einbezogen werden, die auf Dauer alle Funktionen einer selbst...