Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Europäischer Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung. Verfahren zur Erwirkung. Begriffe ‚gerichtliche Entscheidung’, ‚gerichtlicher Vergleich’. und ‚öffentliche Urkunde’. Nationaler Mahnbescheid, gegen den Widerspruch erhoben werden kann. Fristen. Außergewöhnliche Umstände. Begriff
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 655/2014 Art. 5 Buchst. a, Art. 4 Nrn. 8, Art. 4 Nrn. 9, Art. 4 Nrn. 10, Art. 18 Abs. 1, Art. 45
Beteiligte
K.H.K. (Saisie conservatoire des comptes bancaires) |
Tenor
1. Art. 4 Nr. 10 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass ein nicht vollstreckbarer Mahnbescheid wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht unter den Begriff „öffentliche Urkunde” im Sinne dieser Vorschrift fällt.
2. Art. 5 Buchst. a der Verordnung Nr. 655/2014 ist dahin auszulegen, dass ein laufendes Mahnverfahren wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende als „Verfahren in der Hauptsache” im Sinne dieser Vorschrift qualifiziert werden kann.
3. Art. 45 der Verordnung Nr. 655/2014 ist dahin auszulegen, dass Gerichtsferien nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände” im Sinne dieser Vorschrift fallen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski rayonen sad (Bezirksgericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 16. August 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. August 2018, in dem Verfahren
K.H.K.
gegen
B.A.C.,
E.E.K.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan, des Richters L. Bay Larsen und der Richterin C. Toader (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Zaloguin, M. Wilderspin, M. Heller und C. Georgieva-Kecsmar als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Juli 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2014, L 189, S. 59).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen K.H.K. auf der einen und B.A.C. sowie E.E.K. (im Folgenden zusammen: Schuldner) auf der anderen Seite, in dem K.H.K. versucht, eine von ihm gegen B.A.C. und E.E.K. geltend gemachte Forderung u. a. mittels eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung zwangsweise einzutreiben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 5, 13, 14 und 37 der Verordnung Nr. 655/2014 heißt es:
„(5) Nationale Verfahren zur Erwirkung von Sicherungsmaßnahmen etwa in Gestalt von Beschlüssen zur vorläufigen Kontenpfändung gibt es in allen Mitgliedstaaten; allerdings unterscheiden sie sich hinsichtlich der Bedingungen für ihren Erlass und der Effizienz ihrer Ausführung beträchtlich voneinander. Außerdem kann sich die Inanspruchnahme nationaler Sicherungsmaßnahmen in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug als aufwändig erweisen, vor allem wenn der Gläubiger mehrere Konten in verschiedenen Mitgliedstaaten vorläufig pfänden lassen will. Daher scheint es erforderlich und angemessen, ein verbindliches und unmittelbar geltendes Rechtsinstrument der Union zu erlassen, mit dem ein neues Unionsverfahren eingeführt wird, das in grenzüberschreitenden Fällen die vorläufige Pfändung von Geldern auf Bankkonten in einer effizienten und zügigen Weise ermöglicht.
…
(13) Damit eine enge Verbindung zwischen dem Verfahren zum Erlass eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung und dem Verfahren in der Hauptsache gewährleistet ist, sollte die internationale Zuständigkeit für den Erlass des Beschlusses bei den Gerichten des Mitgliedstaats liegen, dessen Gerichte in der Hauptsache zuständig sind. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte der Begriff ‚Verfahren in der Hauptsache’ alle Verfahren abdecken, die darauf gerichtet sind, einen vollstreckbaren Titel über die zugrunde liegende Forderung zu erwirken, einschließlich beispielsweise summarische Mahnverfahren und Verfahren wie das französische Verfahren der einstweiligen Anordnung (‚procédure de référé’). Ist der Schuldner ein Verbraucher mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, so sollte die Zuständigkeit für den Erlass des Beschlusses ausschließlich bei den Gerichten dieses Mitgliedstaats liegen.
(14) Hinsichtlich der Bedingungen für den Erlass de...