Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Vorlage zur Vorabentscheidung. Verfahren für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung. Voraussetzungen für den Erlass eines solchen Beschlusses. Begriff ‚gerichtliche Entscheidung‘. Begriff ‚gerichtliche Entscheidung, … mit der … der Schuldner aufgefordert wird, die Forderung des Gläubigers zu erfüllen‘. Gerichtliche Entscheidung, mit der ein Schuldner für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsanordnung zur Zahlung eines Zwangsgelds verurteilt wird. Anwendungsbereich
Normenkette
EUVO 655/2014 Art. 4, 7; Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 55
Beteiligte
Tenor
Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen
ist wie folgt auszulegen:
Eine gerichtliche Entscheidung, mit der ein Schuldner für den Fall der künftigen Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsanordnung zur Zahlung eines Zwangsgelds verurteilt wird und mit der folglich die Höhe dieses Zwangsgelds nicht endgültig festgesetzt wird, stellt keine gerichtliche Entscheidung, mit der der Schuldner aufgefordert wird, die Forderung des Gläubigers zu erfüllen, im Sinne dieser Bestimmung dar, so dass der Gläubiger, der den Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung beantragt, nicht von der Verpflichtung befreit ist, hinreichende Beweismittel vorzulegen, die das Gericht, bei dem der Erlass dieses Beschlusses beantragt wurde, zu der berechtigten Annahme veranlassen, dass über die Forderung gegenüber dem Schuldner in der Hauptsache voraussichtlich zugunsten des Gläubigers entschieden wird.
Tatbestand
In der Rechtssache C-291/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juge des saisies du tribunal de première instance de Liège (Pfändungsrichter am Gericht Erster Instanz von Lüttich, Belgien) mit Entscheidung vom 6. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Mai 2021, in dem Verfahren auf Betreiben der
Starkinvest SRL
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), N. Wahl und J. Passer,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: C. Di Bella, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Juni 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Starkinvest SRL, vertreten durch V. Lamberts und A. Palmisano, Avocats,
- – der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Noë und W. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Oktober 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2014, L 189, S. 59) sowie von Art. 55 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines von der Starkinvest SRL eingeleiteten Verfahrens, das darauf gerichtet ist, mittels eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung (im Folgenden: Beschluss zur vorläufigen Pfändung) eine gerichtliche Entscheidung zu vollstrecken, mit der für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Unterlassungsanordnung, die gegen die Soft Paris EURL und die Soft Paris Parties LTD erlassen wurde, die Zahlung eines Zwangsgelds angeordnet wird.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 1215/2012
Rz. 3
Art. 39 der Verordnung Nr. 1215/2012 lautet:
„Eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung, die in diesem Mitgliedstaat vollstreckbar ist, ist in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf.“
Rz. 4
Art. 55 der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt:
„In einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidungen, die auf Zahlung eines Zwangsgelds lauten, sind im ersuchten Mitgliedstaat nur vollstreckbar, wenn die Höhe des Zwangsgelds durch das Ursprungsgericht endgültig festgesetzt ist.“
Verordnung Nr. 655/2014
Rz. 5
In den Erwägungsgründen 12 und 14 der Verordnung Nr. 655/2014 heißt es:
„(12...