Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Folgen der Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel. An eine Fremdwährung gekoppelter Hypothekendarlehensvertrag, der missbräuchliche Klauseln über den Wechselkurs enthält. Nichtigkeit dieses Vertrags. Rückzahlungsansprüche. Gesetzliche Zinsen. Verjährungsfrist
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1
Beteiligte
mBank (Déclaration du consommateur) |
Tenor
Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass sie, wenn ein von einem Kreditinstitut mit einem Verbraucher geschlossener Hypothekendarlehensvertrag vollumfänglich für nichtig erklärt wird, weil er eine missbräuchliche Klausel enthält, ohne die er nicht weiter bestehen kann,
- –
- einer gerichtlichen Auslegung nationalen Rechts entgegenstehen, nach der die Ausübung der dem Verbraucher nach der Richtlinie zustehenden Rechte von der Abgabe einer Erklärung vor einem Gericht abhängig gemacht wird, wonach der Verbraucher erstens der Aufrechterhaltung dieser Klausel nicht zustimmt, zweitens sich sowohl des Umstands, dass die Nichtigkeit dieser Klausel zur Nichtigerklärung des Vertrags führt, als auch der Folgen dieser Nichtigerklärung bewusst ist und drittens der Nichtigerklärung des Vertrags zustimmt;
- –
- dem entgegenstehen, dass der Ausgleich, den der betroffene Verbraucher zur Rückzahlung der in Erfüllung des in Rede stehenden Vertrags geleisteten Zahlungen fordert, um den Gegenwert der Zinsen gekürzt wird, die dem Kreditinstitut bei Weiterbestand des Vertrags zustünden.
Tatbestand
In der Rechtssache C-140/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla Warszawy-Řródmieścia w Warszawie (Rayongericht Warschau-Stadtmitte, Polen) mit Entscheidung vom 18. Januar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar 2022, in dem Verfahren
SM,
KM
gegen
mBank S. A.,
Beteiligte:
Rzecznik Finansowy,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei, des Richters S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von KM und SM, vertreten durch W. Bochenek und P. Stalski, Radcowie prawni,
- – der mBank S. A., vertreten durch A. Cudna-Wagner und K. Stokłosa, Radcowie prawni, und B. Miąskiewicz, Adwokat,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,
- – der portugiesischen Regierung, vertreten durch C. Alves, P. Barros da Costa, A. Cunha, B. Lavrador und A. Pimenta als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SM und KM auf der einen und der mBank S. A., einem Kreditinstitut, auf der anderen Seite über die Erstattung von Zahlungen, die im Rahmen eines aufgrund missbräuchlicher Klauseln für nichtig zu erklärenden Hypothekendarlehensvertrags an die mBank geleistet wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. …“
Rz. 4
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“
Rz. 5
Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.“
Polnisches Recht
Rz. 6
Art. 60 der Ustawa – Kodeks cywilny (Gesetz über das Zivilgesetzbuch) vom 23. April 1964 (Dz. U. Nr. 16, Pos. 93) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Zivilgesetzbuch) lautet:
„Vorbehaltlich der gesetzlich vorgesehenen Ausnahm...