Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und freier Datenverkehr. Nationale Kontrollstellen. Unabhängigkeit. Nationale Rechtsvorschriften, mit denen das Mandat der Kontrollstelle vor Ablauf beendet wird. Schaffung einer neuen Kontrollstelle und Ernennung einer anderen Person zum Präsidenten

 

Normenkette

Richtlinie 95/46/EG Art. 28 Abs. 1

 

Beteiligte

Kommission / Ungarn

Europäische Kommission

Ungarn

 

Tenor

1. Ungarn hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr verstoßen, dass es das Mandat der Kontrollstelle für den Schutz personenbezogener Daten vorzeitig beendet hat.

2. Ungarn trägt die Kosten.

3. Der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) trägt seine eigenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 258 AEUV, eingereicht am 8. Juni 2012,

Europäische Kommission, vertreten durch K. Talabér-Ritz und B. Martenczuk als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

unterstützt durch:

Europäischer Datenschutzbeauftragter (EDSB), vertreten durch I. Chatelier, A. Buchta, Z. Belényessy und H. Kranenborg als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, T. von Danwitz, E. Juhász, A. Borg Barthet, C. G. Fernlund und J. L. da Cruz Vilaça, der Richter G. Arestis und J. Malenovský, der Richterinnen M. Berger und A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas (Berichterstatter) und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Oktober 2013,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. Dezember 2013

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission, festzustellen, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281, S. 31) verstoßen hat, dass es das Mandat der Kontrollstelle für den Schutz personenbezogener Daten vorzeitig beendet hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 2

Der 62. Erwägungsgrund der Richtlinie 95/46 lautet:

„Die Einrichtung unabhängiger Kontrollstellen in den Mitgliedstaaten ist ein wesentliches Element des Schutzes der Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten.”

Rz. 3

Art. 28 („Kontrollstelle”) der Richtlinie 95/46 bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass eine oder mehrere öffentliche Stellen beauftragt werden, die Anwendung der von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen.

Diese Stellen nehmen die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahr.

(2) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Kontrollstellen bei der Ausarbeitung von Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften bezüglich des Schutzes der Rechte und Freiheiten von Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten angehört werden.”

Rz. 4

Mit Kapitel V der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr (ABl. 2001, L 8, S. 1) wird eine unabhängige Kontrollbehörde, der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB), eingerichtet.

Rz. 5

Art. 42 („Ernennung”) dieser Verordnung sieht vor:

„(1) Das Europäische Parlament und der Rat ernennen den [EDSB] im gegenseitigen Einvernehmen für eine Amtszeit von fünf Jahren, wobei sie ihre Entscheidung auf der Grundlage einer von der Kommission im Anschluss an eine öffentliche Aufforderung zur Einreichung von Bewerbungen erstellten Liste treffen.

(3) Eine Wiederernennung des [EDSB] ist zulässig.

(4) Außer bei normaler Neubesetzung oder im Todesfall enden die Aufgaben des [EDSB], wenn er von seinem Mandat zurücktritt oder nach Absatz 5 seines Amtes enthoben wird.

(5) Der [EDSB] kann auf Antrag des Europäischen Parlaments, des Rates oder der Kommission vom Gerichtshof seines Amtes enthoben oder seiner Ruhegehaltsansprüche oder an ihrer Stelle gewährten Vergünstigungen für verlustig erklärt werden, wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung seines Amtes nicht mehr erfüllt oder eine schwere Verfehlung begangen hat.

…”

Ungarisches Recht

Rz. 6

Bis zum 31. Dezember 2011 war die in Art. 28 der Richtlinie 95/46 geforderte Kontrollstelle für den Schutz personenbezogene...

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