Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Begriff ‚Verbraucher‘. Vertrag über die Aufnahme in ein Treuesystem, durch das beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen bei Drittanbietern bestimmte finanzielle Vorteile erlangt werden können
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG Art. 2 Buchst. b
Beteiligte
Tenor
Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen
ist dahin auszulegen, dass
eine natürliche Person, die Mitglied in einem von einem Handelsunternehmen eingerichteten System wird, das es u. a. erlaubt, im Rahmen des Erwerbs von Waren und Dienstleistungen bei den Handelspartnern dieses Unternehmens durch sie selbst oder durch andere auf ihre Empfehlung hin am System teilnehmende Personen in den Genuss bestimmter finanzieller Vorteile zu kommen, unter den Begriff „Verbraucher“ im Sinne dieser Vorschrift fällt, wenn diese natürliche Person zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache C-455/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Olt (Regionalgericht Olt, Rumänien) mit Entscheidung vom 27. Mai 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Juli 2021, in dem Verfahren
OZ
gegen
Lyoness Europe AG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias, M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi (Berichterstatter),
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der Lyoness Europe AG, vertreten durch R. Boanţă, M. Doibani, I. Palenciuc, I. Postolachi und I. Stănciulescu, Avocaţi,
- – der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und L. Liţu als Bevollmächtigte,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Greco, Avvocato dello Stato,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Boitos und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen OZ und der Lyoness Europe AG wegen bestimmter Klauseln in den Allgemeinen Bedingungen eines Vertrags über die Aufnahme in ein Treuesystem, durch das beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen bei Drittanbietern bestimmte finanzielle Vorteile erlangt werden können.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/13
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 5, 6 und 10 der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Die Verbraucher kennen im Allgemeinen nicht die Rechtsvorschriften, die in anderen Mitgliedstaaten für Verträge über den Kauf von Waren oder das Angebot von Dienstleistungen gelten. Diese Unkenntnis kann sie davon abhalten, Waren und Dienstleistungen direkt in anderen Mitgliedstaaten zu ordern.
Um die Errichtung des Binnenmarktes zu erleichtern und den Bürger in seiner Rolle als Verbraucher beim Kauf von Waren und Dienstleistungen mittels Verträgen zu schützen, für die die Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten gelten, ist es von Bedeutung, missbräuchliche Klauseln aus diesen Verträgen zu entfernen.
…
Durch die Aufstellung einheitlicher Rechtsvorschriften auf dem Gebiet missbräuchlicher Klauseln kann der Verbraucher besser geschützt werden. Diese Vorschriften sollten für alle Verträge zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern gelten. Von dieser Richtlinie ausgenommen sind daher insbesondere Arbeitsverträge sowie Verträge auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts.“
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:
„Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.“
Rz. 5
In Art. 2 der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeuten:
…
b) Verbraucher: eine natürliche Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, zu einem Zweck handelt, der nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann;
c) Gewerbetreibender: eine natürliche oder juristische Person, die bei Verträgen, die unter diese Richtlinie fallen, im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit handelt, auch wenn diese dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzurechnen ist.“
Rz. 6
Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 „[ist e]ine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, … als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zu...