Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit. Freier Dienstleistungsverkehr. Auf der Ebene eines Bundeslands bestehendes staatliches Monopol auf die Veranstaltung von Sportwetten. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die Unvereinbarkeit der ein solches Monopol betreffenden Regelung mit dem deutschen Grundgesetz festgestellt, die Regelung aber während einer Übergangszeit aufrechterhalten wird, um die Herstellung ihrer Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu ermöglichen. Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts. Zulässigkeit und eventuelle Voraussetzungen einer derartigen Übergangszeit, wenn die betreffende nationale Regelung auch gegen die Art. 43 EG und 49 EG verstößt
Normenkette
EG Art. 43, 49
Beteiligte
Bürgermeisterin der Stadt Bergheim |
Tenor
Aufgrund des Vorrangs des unmittelbar geltenden Unionsrechts darf eine nationale Regelung über ein staatliches Sportwettenmonopol, die nach den Feststellungen eines nationalen Gerichts Beschränkungen mit sich bringt, die mit der Niederlassungsfreiheit und dem freien Dienstleistungsverkehr unvereinbar sind, weil sie nicht dazu beitragen, die Wetttätigkeiten in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, nicht für eine Übergangszeit weiter angewandt werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 21. September 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Oktober 2006, in dem Verfahren
Winner Wetten GmbH
gegen
Bürgermeisterin der Stadt Bergheim
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, der Kammerpräsidentin P. Lindh sowie der Richter K. Schiemann (Berichterstatter), A. Borg Barthet, M. Ilešič, J. Malenovský, U. Lõhmus, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: N. Nanchev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2009,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Winner Wetten GmbH, vertreten durch die Rechtsanwälte O. Bludovsky und D. Pawlick,
- der Bürgermeisterin der Stadt Bergheim, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Hecker, M. Ruttig und H. Sicking,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma, C. Schulze-Bahr, B. Klein und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, zunächst vertreten durch A. Hubert, dann durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck und S. Verhulst, advocaten,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der griechischen Regierung, vertreten durch A. Samoni-Rantou, G. Skiani, M. Tassopoulou und K. Boskovits als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch F. Díez Moreno als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. Belliard, G. de Bergues, C. Jurgensen, C. Bergeot-Nunes und A. Adam als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, P. Mateus Calado und A. P. Barros als Bevollmächtigte,
- der slowenischen Regierung, vertreten durch M. Remic als Bevollmächtigte,
- der norwegischen Regierung, vertreten durch F. Sejersted, G. Hansson Bull, K. B. Moen und Ø. Andersen als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch E. Traversa und K. Gross als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Januar 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG und 49 EG sowie die sich aus dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ergebenden Folgen.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Winner Wetten GmbH (im Folgenden: WW) und der Bürgermeisterin der Stadt Bergheim über deren Entscheidung, WW die weitere Ausübung ihrer Tätigkeit des Anbietens von Sportwetten zu verbieten.
Nationales Recht
Bundesrecht
Rz. 3
Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes bestimmt:
„Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.”
Rz. 4
§ 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) sieht vor:
„(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.
(2) [D]ie Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts [hat] Gesetzeskraft …, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel … im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. …”
Rz. 5
§ 35 BVerfGG lautet:
„Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung...