Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eilvorabentscheidungsverfahren. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Kindesentführung

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 11 Abs. 7-8

 

Beteiligte

Bradbrooke

David Bradbrooke

Anna Aleksandrowicz

 

Tenor

Art. 11 Abs. 7 und 8 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht untersagt, im Rahmen des durch diese Bestimmungen vorgesehenen Verfahrens einem spezialisierten Gericht die Zuständigkeit für die Prüfung von Fragen der Rückgabe des Kindes oder des Sorgerechts zu übertragen, selbst wenn im Übrigen bereits ein Gerichtshof oder ein Gericht mit einem Hauptsacheverfahren über die elterliche Verantwortung in Bezug auf das Kind befasst wurde.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d'appel de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 7. November 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2014, in dem Verfahren

David Bradbrooke

gegen

Anna Aleksandrowicz

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin K. Jürimäe, der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterin A. Prechal,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des Antrags des vorlegenden Gerichts vom 7. November 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2014, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einem Eilverfahren zu unterwerfen,

aufgrund der Entscheidung der Vierten Kammer vom 18. November 2014, diesem Antrag stattzugeben,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, J.-C. Halleux und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 Abs. 7 und 8 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1, im Folgenden: Verordnung).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Bradbrooke und Frau Aleksandrowicz wegen der elterlichen Verantwortung für ihren gemeinsamen Sohn Antoni, der von Frau Aleksandrowicz in Polen festgehalten wird.

Rechtlicher Rahmen

Haager Übereinkommen von 1980

Rz. 3

Art. 3 des am 25. Oktober 1980 in Den Haag geschlossenen Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1980) bestimmt:

„Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn

  1. dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und
  2. dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

Das unter Buchstabe a genannte Sorgerecht kann insbesondere kraft Gesetzes, aufgrund einer gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung oder aufgrund einer nach dem Recht des betreffenden Staates wirksamen Vereinbarung bestehen.”

Rz. 4

In Art. 12 dieses Übereinkommens heißt es:

„Ist ein Kind im Sinn des Artikels 3 widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen, so ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde die sofortige Rückgabe des Kindes an.

…”

Rz. 5

Art. 13 des Haager Übereinkommens von 1980 sieht vor:

„Ungeachtet des Artikels 12 ist das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist,

  1. dass die Person, Behörde oder sonstige Stelle, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens oder Zurückha...

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