Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen. Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel. Begriff ‚Gericht’. Notar, der auf der Grundlage einer ‚glaubwürdigen Urkunde’ einen Vollstreckungsbefehl ausgestellt hat. Öffentliche Urkunde
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 805/2004
Beteiligte
Tenor
1. Die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen ist dahin auszulegen, dass in Kroatien Notare, die im Rahmen der ihnen durch die nationalen Rechtsvorschriften in Zwangsvollstreckungsverfahren übertragenen Befugnisse auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde” tätig werden, nicht unter den Begriff „Gericht” im Sinne dieser Verordnung fallen.
2. Die Verordnung Nr. 805/2004 ist dahin auszulegen, dass ein von einem Notar in Kroatien auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde” erlassener Vollstreckungsbefehl, gegen den kein Widerspruch eingelegt wurde, nicht als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden darf, sofern er sich nicht auf eine unbestrittene Forderung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung bezieht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Općinski sud u Novom Zagrebu – Stalna služba u Samoboru (Stadtgericht Novi Zagreb – Außenstelle Samobor, Kroatien) mit Entscheidung vom 7. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 11. September 2015, in dem Verfahren
Ibrica Zulfikarpašić
gegen
Slaven Gajer
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin A. Prechal, des Richters A. Rosas, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der kroatischen Regierung, vertreten durch A. Metelko-Zgombić als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch V. Ester Casas als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga, S. Ječmenica und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. September 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. 2004, L 143, S. 15).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Ibrica Zulfikarpašić und Herrn Slaven Gajer wegen eines Antrags auf Ausstellung einer Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel für einen von einem Notar in Kroatien auf der Grundlage einer „glaubwürdigen Urkunde” erlassenen Vollstreckungsbefehl.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 3, 5, 7, 10, 12 und 18 der Verordnung Nr. 805/2004 lauten:
„(3) Auf seiner Tagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere bekräftigte der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen als Eckpfeiler für die Schaffung eines echten europäischen Rechtsraums.
…
(5) Der Begriff ‚unbestrittene Forderung’ sollte alle Situationen erfassen, in denen der Schuldner Art oder Höhe einer Geldforderung nachweislich nicht bestritten hat und der Gläubiger gegen den Schuldner entweder eine gerichtliche Entscheidung oder einen vollstreckbaren Titel, der die ausdrückliche Zustimmung des Schuldners erfordert, wie einen gerichtlichen Vergleich oder eine öffentliche Urkunde, erwirkt hat.
…
(7) Diese Verordnung sollte auch für Entscheidungen, gerichtliche Vergleiche und öffentliche Urkunden über unbestrittene Forderungen und solche Entscheidungen gelten, die nach Anfechtung von als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidungen, gerichtlichen Vergleichen und öffentlichen Urkunden ergangen sind.
…
(10) Auf die Nachprüfung einer gerichtlichen Entscheidung, die in einem anderen Mitgliedstaat über eine unbestrittene Forderung in einem Verfahren ergangen ist, auf das sich der Schuldner nicht eingelassen hat, kann nur dann verzichtet werden, wenn eine hinreichende Gewähr besteht, dass die Verteidigungsrechte beachtet worden sind.
…
(12) Für das gerichtliche Verfahren sollten Mindestvorschriften festgelegt werden, um sicherzustellen, dass der Schuldner so rechtzeitig und in einer Weise über das gegen ihn eingeleitete Verfahren, die Notwendigkeit seiner aktiven Teilnahme am Verfahren, wenn er die Forderung bestreiten will, und über die Folgen seiner Nichtteilnahme unterrichtet wird, dass er Vorkehrungen für seine Verteidigung treffen kann.
…
(18) Gegenseitiges Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspfle...