Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Vorlage zur Vorabentscheidung. Zuständigkeit bei Verbrauchersachen. Begriff ‚Verbraucher‘. Verhalten einer die Verbrauchereigenschaft beanspruchenden Person, das bei der anderen Vertragspartei den Eindruck erwecken kann, dass sie zu beruflichen oder gewerblichen Zwecken handelt
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1215/2012
Beteiligte
Tenor
1.Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
ist dahin auszulegen, dass
für die Feststellung, ob eine Person, die einen unter Buchst. c dieser Bestimmung fallenden Vertrag geschlossen hat, als „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, die mit dem Abschluss dieses Vertrags verfolgten gegenwärtigen oder zukünftigen Ziele zu berücksichtigen sind, und zwar unabhängig von der Frage, ob diese Person ihre Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis oder selbständig ausübt.
2.Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012
ist dahin auszulegen, dass
für die Feststellung, ob eine Person, die einen unter Buchst. c dieser Bestimmung fallenden Vertrag geschlossen hat, als „Verbraucher“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, der Eindruck berücksichtigt werden kann, den diese, sich auf die Verbrauchereigenschaft berufende Person durch ihr Verhalten bei ihrem Vertragspartner erweckt hat, das insbesondere darin bestand, dass sie auf die Vertragsbestimmungen, in denen sie als Unternehmerin bezeichnet wird, nicht reagiert hat, darin, dass sie den Vertrag über einen Vermittler abgeschlossen hat, der in dem Bereich, in den der Vertrag fällt, beruflich oder gewerblich tätig ist und der nach der Unterzeichnung des Vertrags die andere Partei gefragt hat, ob es möglich sei, auf der entsprechenden Rechnung die Mehrwertsteuer auszuweisen, und darin, dass sie den Gegenstand, auf den sich der Vertrag bezieht, kurz nach dessen Abschluss und eventuell mit Gewinn verkauft hat.
3.Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012
ist dahin auszulegen, dass
das nationale Gericht, wenn es sich als unmöglich erweist, im Rahmen der Gesamtwürdigung der ihm zur Verfügung stehenden Informationen bestimmte den Abschluss eines Vertrags begleitende Umstände, bei denen es sich insbesondere um Angaben in diesem Vertrag oder um die Einschaltung eines Vermittlers im Zuge des Vertragsabschlusses handelt, rechtlich hinreichend festzustellen, den Beweiswert dieser Informationen nach den nationalen Rechtsvorschriften zu beurteilen hat, und zwar auch im Hinblick auf die Frage, ob Zweifel der Person zugutekommen müssen, die sich auf die Verbrauchereigenschaft im Sinne dieser Bestimmung beruft.
Tatbestand
In der Rechtssache C-177/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Salzburg (Österreich) mit Entscheidung vom 24. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 8. März 2022, in dem Verfahren
JA
gegen
Wurth Automotive GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, des Richters J.-C. Bonichot und der Richterin O. Spineanu-Matei (Berichterstatterin),
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von JA, vertreten durch Rechtsanwalt B. Heim,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Noë und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 17 und 18 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen JA, einer österreichischen Staatsangehörigen, und der Wurth Automotive GmbH, einer deutschen Gesellschaft, über die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte für die Entscheidung über eine Klage auf Schadenersatz wegen versteckter Mängel eines Kraftfahrzeugs, über das ein Kaufvertrag geschlossen wurde.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Kapitel II („Zuständigkeit“) Abschnitt 4 („Zuständigkeit bei Verbrauchersachen“) Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht vor:
„Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6 und des Artikels 7 Nummer 5 nach diesem Abschnitt,
a) wenn es sich um den Kauf beweglicher Sachen auf Te...