Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Verordnung (EG) Nr. 44/2001. Besondere Zuständigkeiten. Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich. Gericht des Erfüllungsorts der vertraglichen Verpflichtung. Verkauf beweglicher Sachen. Ort der Lieferung. Vertrag mit der Klausel ‚Übergabe ab Werk’
Beteiligte
Tenor
Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass bei Versendungskäufen der Ort, an dem die beweglichen Sachen nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen, auf der Grundlage der Bestimmungen dieses Vertrags zu bestimmen ist.
Bei der Prüfung, ob der Lieferort „nach dem Vertrag” bestimmt ist, muss das angerufene nationale Gericht alle einschlägigen Bestimmungen und Klauseln dieses Vertrags, einschließlich der allgemein anerkannten und im internationalen Handelsverkehr üblichen Bestimmungen und Klauseln wie der von der Internationalen Handelskammer formulierten Incoterms („international commercial terms”) in der im Jahr 2000 veröffentlichten Fassung berücksichtigen, die eine eindeutige Bestimmung dieses Ortes ermöglichen.
Lässt sich der Lieferort auf dieser Grundlage ohne Bezugnahme auf das auf den Vertrag anwendbare materielle Recht nicht bestimmen, ist dieser Ort derjenige der körperlichen Übergabe der Waren, durch die der Käufer am endgültigen Bestimmungsort des Verkaufsvorgangs die tatsächliche Verfügungsgewalt über diese Waren erlangt hat oder hätte erlangen müssen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale ordinario di Vicenza (Italien) mit Entscheidung vom 30. Januar 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Februar 2010, in dem Verfahren
Electrosteel Europe SA
gegen
Edil Centro SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters D. Šváby, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und T. von Danwitz,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Edil Centro SpA, vertreten durch R. Campese, avvocatessa,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Bambara und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 3. März 2011
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b erster Gedankenstrich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Verordnung).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Electrosteel Europe SA (im Folgenden: Electrosteel) mit Sitz in Arles (Frankreich) und der Edil Centro SpA (im Folgenden: Edil Centro) mit Sitz in Piovene Rocchette (Italien) wegen Erfüllung eines Kaufvertrags über bewegliche Sachen.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 2 Abs. 1 in Kapitel II Abschnitt 1 („Allgemeine Vorschriften”) der Verordnung lautet:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.”
Rz. 4
Der ebenfalls zu Abschnitt 1 der Verordnung gehörende Art. 3 Abs. 1 bestimmt:
„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.”
Rz. 5
Art. 5 in Kapitel II Abschnitt 2 („Besondere Zuständigkeiten”) der Verordnung lautet:
„Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden:
- wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre;
im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung
- für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen;
- für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen;
- ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a);
…”
Rz. 6
Art. 23 Abs. 1 in Kapitel II Abschnitt 7 („Vereinbarung über die Zuständigkeit”) der Verordnung lautet:
„Haben die Parteien,...