Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geistiges und gewerbliches Eigentum. Gemeinschaftlicher Sortenschutz. Verletzung. Angemessene Vergütung. Ersatz des entstandenen Schadens. Prozesskosten und außergerichtliche Kosten
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 2100/94
Beteiligte
Jungpflanzen Grünewald GmbH |
Tenor
1. Art. 94 der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz ist dahin auszulegen, dass der Schadensersatzanspruch, der dem Inhaber einer geschützten Pflanzensorte aus deren Verletzung nach dieser Vorschrift zusteht, den gesamten ihm entstandenen Schaden umfasst, ohne dass auf der Grundlage dieses Artikels ein pauschaler Verletzerzuschlag angesetzt oder speziell die Herausgabe der Gewinne und Vorteile angeordnet werden kann, in deren Genuss der Verletzer gelangt ist.
2. Der in Art. 94 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2100/94 enthaltene Begriff „angemessene Vergütung” ist dahin auszulegen, dass er außer der üblichen Gebühr, die für die Erzeugung in Lizenz zu zahlen wäre, alle Schäden erfasst, die eng damit zusammenhängen, dass diese Gebühr nicht gezahlt wurde, wozu insbesondere die Zahlung von Verzugszinsen gehören kann. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, welche Umstände eine Erhöhung dieser Gebühr verlangen, wobei kein Umstand mehr als einmal für die Bemessung der angemessenen Vergütung in Ansatz gebracht werden darf.
3. Art. 94 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2100/94 ist dahin auszulegen, dass die Höhe des in dieser Bestimmung genannten Schadens anhand konkreter Gesichtspunkte, die der Inhaber der verletzten Sorte insoweit vorträgt, festzulegen ist, nötigenfalls pauschaliert, wenn die Gesichtspunkte nicht quantifizierbar sind. Es läuft dieser Bestimmung weder zuwider, dass die Kosten eines erfolglosen Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nicht in die Bemessung dieses Schadens einfließen, noch, dass im Rahmen des Ausgangsverfahrens entstandene außergerichtliche Kosten keine Berücksichtigung finden. Eine Nichtberücksichtigung dieser Kosten setzt jedoch voraus, dass die Höhe der von dem durch die Verletzung Geschädigten möglicherweise zu tragenden Prozesskosten nicht dazu geeignet ist, ihn in Anbetracht der von ihm als außergerichtliche Kosten zu tragenden Beträge und ihres Nutzens für die Schadensersatzklage davon abzuhalten, seine Rechte gerichtlich geltend zu machen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Oktober 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Oktober 2014, in dem Verfahren
Jørn Hansson
gegen
Jungpflanzen Grünewald GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter F. Biltgen, A. Borg Barthet und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Hansson, vertreten durch Rechtsanwalt G. Würtenberger,
- der Jungpflanzen Grünewald GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt T. Leidereiter,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Schima, F. Wilman, I. Galindo Martín und B. Eggers als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. Februar 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (ABl. 1994, L 227, S. 1) und der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. 2004, L 157, S. 45, Berichtigung im ABl. 2004, L 195, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Jørn Hansson und der Jungpflanzen Grünewald GmbH (im Folgenden: Jungpflanzen) über den Ersatz des aus Handlungen, die eine Verletzung einer gemeinschaftlich geschützten Pflanzensorte darstellen, entstandenen Schadens.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 2100/94
Rz. 3
Gemäß Art. 11 der Verordnung Nr. 2100/94 steht das Recht auf den gemeinschaftlichen Sortenschutz dem „Züchter” zu, also der „Person …, die die Sorte hervorgebracht oder entdeckt und entwickelt hat[,] bzw. ihrem Rechtsnachfolger”.
Rz. 4
Art. 13 („Rechte des Inhabers des gemeinschaftlichen Sortenschutzes und verbotene Handlungen”) der Verordnung Nr. 2100/94 bestimmt:
„(1) Der gemeinschaftliche Sortenschutz hat die Wirkung, dass allein der oder die Inhaber des gemeinschaftlichen Sortenschutzes, im Folgenden ‚Inhaber’ genannt, befugt sind, die in Absatz 2 genannten Handlungen vorzunehmen.
(2) Unbeschadet der Artikel 15 und 16 bedürfen die nachstehend aufgeführten Handlungen in Bezug auf Sortenbestandteile oder Erntegut der geschützten Sorte – beides im folgenden ‚Material’ genann...