Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL ADMINISTRATIF DE CHALONS-SUR-MARNE – FRANKREICH. FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR – STAATSANGEHOERIGE EINES DRITTLANDES. Freier Dienstleistungsverkehr ° Diskriminierungsverbot ° In einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen, das während der für die Erledigung von Arbeiten nötigen Zeit mit Beschäftigten, die einem Drittland angehören, grenzueberschreitend tätig wird ° Anwendung der nationalen Vorschriften, die den Zugang von Arbeitnehmern aus Drittländern zur Beschäftigung regeln, durch den Aufnahmemitgliedstaat ° Unzulässigkeit bei Arbeitnehmern, die im Mitgliedstaat der Niederlassung des Arbeitgebers ordnungsgemäß beschäftigt sind (EWG-Vertrag, Artikel 59 und 60)
Leitsatz (amtlich)
Es läuft den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag zuwider, daß ein Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Unternehmen, die zur Erbringung von Dienstleistungen auf seinem Gebiet tätig werden und die Angehörige von Drittstaaten ordnungsgemäß und dauerhaft beschäftigen, unter Androhung einer Geldbusse dazu verpflichtet, für diese Arbeitnehmer bei einer nationalen Einwanderungsbehörde eine Arbeitserlaubnis einzuholen und die damit verbundenen Kosten zu tragen.
Im Fall von Arbeitnehmern aus einem Drittstaat, die im Mitgliedstaat der Niederlassung ihres Arbeitgebers eine Arbeitserlaubnis erhalten haben und dort ordnungsgemäß beschäftigt sind, die für den Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen erbracht werden, eine gültige Aufenthaltserlaubnis für die zur Ausführung der Arbeiten erforderliche Zeit besitzen und die keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt des letztgenannten Staates verlangen, da sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe in ihr Herkunfts- oder Wohnsitzland zurückkehren, belasten nämlich die sich aus einer solchen Regelung ergebenden Anforderungen die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen stärker als die im Inland ansässigen Dienstleistenden und gehen über das hinaus, was als Voraussetzung für die Erbringung von Dienstleistungen gefordert werden kann.
Normenkette
EWGVtr Art. 59-60
Beteiligte
Office des Migrations Internationales |
Tenor
Es läuft den Artikeln 59 und 60 EWG-Vertrag zuwider, daß ein Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Unternehmen, die zur Erbringung von Dienstleistungen auf seinem Gebiet tätig werden und die Angehörige von Drittstaaten ordnungsgemäß und dauerhaft beschäftigen, unter Androhung einer Geldbusse dazu verpflichtet, für diese Arbeitnehmer bei einer nationalen Einwanderungsbehörde eine Arbeitserlaubnis einzuholen und die damit verbundenen Kosten zu tragen.
Gründe
1 Das Tribunal administratif Châlons-sur-Marne hat mit Entscheidung vom 22. Dezember 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Februar 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit des Herrn Vander Elst (im folgenden: der Kläger), eines in Belgien ansässigen Arbeitgebers belgischer Staatsangehörigkeit, gegen das Office des migrations internationales (im folgenden: OMI), eine dem französischen Arbeitsministerium nachgeordnete Behörde, die insbesondere für die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer im französischen Staatsgebiet zuständig ist.
3 Der Kläger betreibt in Brüssel ein Spezialabbruchunternehmen. Ausser belgischen Staatsangehörigen beschäftigt das Unternehmen seit mehreren Jahren ununterbrochen marokkanische Staatsangehörige. Diese halten sich rechtmässig in Belgien auf, besitzen eine belgische Arbeitserlaubnis, nehmen am belgischen System der sozialen Sicherheit teil und erhalten ihre Vergütung in diesem Land.
4 Im Jahre 1989 führte das Unternehmen Vander Elst an einem als „Château Lanson” bezeichneten Gebäude in Reims Abbrucharbeiten und Arbeiten zur Rückgewinnung von Baustoffen durch. Diese Arbeiten dauerten einen Monat. Zu ihrer Durchführung entsandte der Kläger eine aus acht Personen bestehende Arbeitsgruppe vor Ort; von diesen Arbeitnehmern, die zu seiner Stammbelegschaft zählten, waren vier Belgier und vier Marokkaner. Für letztere hatte er zuvor beim Französischen Konsulat in Brüssel Sichtvermerke für den kurzfristigen Aufenthalt eingeholt, die einen Monat lang galten.
5 Bei einer Kontrolle der Baustelle in Reims am 12. und 18. April 1989 stellte die französische Gewerbeaufsichtsbehörde fest, daß die vom Kläger beschäftigten, auf der Baustelle tätigen marokkanischen Arbeitnehmer keine Arbeitserlaubnis der französischen Behörden besassen. Nach Auffassung der Gewerbeaufsichtsbehörde erlaubte der Sichtvermerk für den kurzfristigen Aufenthalt nicht die Ausübung einer Arbeitnehmertätigkeit in Frankreich.
6 Nach Artikel L. 341-2 des französischen Code du travail muß jeder ausländische Staatsangehörige, der in Frankreich als Arbeitnehmer tätig werden will, ausser den entsprechenden Papieren und Sichtvermerken „einen amtlich beglaubigten Arbeitsvertrag oder eine Arbeitserlaubnis und ein ärzt...