Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL ADMINISTRATIF DE VERSAILLES – FRANKREICH. BEITRITTSAKTE – UEBERGANGSZEIT – FREIZUEGIGKEIT DER ARBEITNEHMER – FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR. Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu den Gemeinschaften – Portugal – Freier Dienstleistungsverkehr – Portugiesisches Bauunternehmen – Recht zur Einreise mit dem eigenen Personal für die Dauer der Arbeiten – Anwendung der Regelung des Aufnahmemitgliedstaats über den Zugang ausländischer Arbeitnehmer zur Beschäftigung – Unzulässigkeit (EWG-Vertrag, Artikel 59 und 60; Beitrittsakte von 1985, Artikel 215 und 216)
Leitsatz (amtlich)
Die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag sowie die Artikel 215 und 216 der Akte über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik sind dahin auszulegen, daß ein in Portugal ansässiges Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen im Bauwesen erbringt, mit seinem eigenen Personal, das es für die Dauer der betreffenden Arbeiten aus Portugal kommen lässt, dorthin einreisen kann. In einem solchen Fall dürfen die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Arbeiten auszuführen sind, dem Leistungserbringer keine Bedingungen bezueglich der Einstellung von Arbeitskräften an Ort und Stelle oder der Einholung einer Arbeitserlaubnis für das portugiesische Personal auferlegen. Sie können jedoch nachprüfen, ob das Unternehmen nicht unter dem Vorwand einer Dienstleistung Artikel 216 der Beitrittsakte umgeht.
Normenkette
EWGVtr Art. 59-60; Beitrittsakte von 1985 Art. 215-216
Beteiligte
Office national d'immigration |
Tenor
Die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag sowie die Artikel 215 und 216 der Akte über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik sind dahin auszulegen, daß ein in Portugal ansässiges Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat Dienstleistungen in der Bauwirtschaft erbringt, dort mit seinem eigenen Personal, das es für die Dauer der betreffenden Arbeiten aus Portugal kommen lässt, antreten kann. In einem solchen Fall dürfen die Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Arbeiten auszuführen sind, dem Leistungserbringer keine Bedingungen bezueglich der Einstellung von Arbeitskräften an Ort und Stelle oder der Einholung einer Arbeitserlaubnis für das portugiesische Personal auferlegen.
Gründe
1 Das Tribunal administratif Versailles hat dem Gerichtshof durch Beschluß vom 2. März 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 1989, gemäß 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 5 und 58 bis 66 EWG-Vertrag und der Artikel 2, 215, 216 und 221 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge (nachstehend: „Beitrittsakte „) sowie der Verordnung (EWG) Nr. 1612/86 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Rush Portugüsa Lda, einem insbesondere mit öffentlichen Bauaufträgen befassten Bauunternehmen mit Sitz in Portugal (im folgenden: „Firma Rush „), und dem „Office national d' immigration” (Staatliches Einwanderungsamt; im folgenden: „ONI „). Die Firma Rush schloß mit einem französischen Unternehmen einen Subunternehmervertrag über die Durchführung von Arbeiten zum Bau einer Eisenbahnlinie in Westfrankreich; zu diesem Zweck ließ sie ihre portugiesischen Arbeitnehmer aus Portugal kommen. Nach Artikel L 341.9 des französischen Code du travail (Arbeitsgesetzbuch) darf jedoch nur das ONI Angehörige von Drittstaaten in Frankreich anwerben.
3 Nachdem der Leiter des ONI festgestellt hatte, daß die Firma Rush sich nicht an die Vorschriften des Arbeitsgesetzbuchs über in Frankreich durch Angehörige von Drittstaaten ausgeuebte unselbständige Erwerbstätigkeiten gehalten hatte, stellte er dem Unternehmen einen Bescheid zu, mit dem er es zur Zahlung eines Sonderbeitrags aufforderte, wie ihn Arbeitgeber zu entrichten haben, die ausländische Arbeitnehmer unter Verstoß gegen das Arbeitsgesetzbuch beschäftigt haben.
4 Mit der Nichtigkeitsklage, die sie gegen diese Verfügung vor dem Tribunal administratif Versailles erhob, machte die Firma Rush geltend, da ihr die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft zugute kämen, stünden die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag einer Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften entgegen, wonach es ihr verboten wäre, ihr Personal in Frankreich arbeiten zu lassen. Das ONI erwiderte, die Bestimmungen über den freien Dienstleistungsverkehr gälten nicht für alle Arbeitnehmer des Leistungserbringers; vielmehr unterlägen diese aufgrund der Übergangsbestimmungen der Beitrittsakte über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer nach wie vor der für Arbeitnehmer aus Drittländern geltenden Regelung.
5 Nach Ansicht des Tribunal administratif hängt die Entscheidung im Ausgangsrechtsstreit von der ...