Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Insolvenzverfahren. Zuständiges Gericht. Im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren erhobene Klage wegen unlauteren Wettbewerbs. Klage einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat gegen den Übernehmer eines Geschäftsbereichs der Gesellschaft, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Mit dem Insolvenzverfahren nicht zusammenhängende Klage oder Klage, die unmittelbar aufgrund dieses Verfahrens erhoben wird und in engem Zusammenhang damit steht
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 1346/2000
Beteiligte
Tünkers France und Tünkers Maschinenbau |
Tünkers Maschinenbau GmbH |
Tenor
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass eine Haftungsklage wegen unlauteren Wettbewerbs, mit der dem Übernehmer eines im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erworbenen Geschäftsbereichs vorgeworfen wird, sich zu Unrecht als Alleinvertriebshändler der vom Schuldner hergestellten Waren dargestellt zu haben, nicht in die Zuständigkeit des Gerichts fällt, das das Insolvenzverfahren eröffnet hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) mit Entscheidung vom 29. November 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Dezember 2016, in dem Verfahren
Tünkers France,
Tünkers Maschinenbau GmbH
gegen
Expert France
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter C. G. Fernlund, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und E. Regan,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Tünkers Maschinenbau GmbH und von Tünkers France, vertreten durch J.-J. Gatineau und C. Fattaccini, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas, E. de Moustier und E. Armoet als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. 2000, L 160, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Tünkers France (im Folgenden: TF) und der Tünkers Maschinenbau GmbH (im Folgenden: TM) auf der einen und Expert France auf der anderen Seite wegen einer von Expert France gegen TM und TF erhobenen Haftungsklage wegen unlauteren Wettbewerbs.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 1346/2000
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 4, 6 und 7 der Verordnung Nr. 1346/2000 heißt es:
„(4) Im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes muss verhindert werden, dass es für die Parteien vorteilhafter ist, Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine verbesserte Rechtsstellung anzustreben (sog. ‚forum shopping').
…
(6) Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sollte sich diese Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Darüber hinaus sollte diese Verordnung Vorschriften hinsichtlich der Anerkennung solcher Entscheidungen und hinsichtlich des anwendbaren Rechts, die ebenfalls diesem Grundsatz genügen, enthalten.
(7) Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren sind vom Anwendungsbereich des Brüsseler Übereinkommens von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch die Beitrittsübereinkommen zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung ausgenommen.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:
„Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.”
Verordnung (EG) Nr. 44/2001
Rz. 5
Die Erwägungsgründe 7 und 19 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) lauten:
„(7) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken.
…
(19) Um die Kontinuität zwischen dem Brüsseler Übereinkommen und dieser Verordnung ...