Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Begriff ‚illegaler Aufenthalt‘. Person, die um internationalen Schutz nachsucht. Berechtigung zum Verbleib im Mitgliedstaat während der Prüfung des Antrags. Rückkehrentscheidung, die vor dem Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung getroffen wurde, mit der der Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde

 

Normenkette

Richtlinie 2008/115/EG Art. 3 Nr. 2; Richtlinie 2013/32/EU Art. 9 Abs. 1

 

Beteiligte

Odbor azylové a migrační politiky MV (Champ d’application de la directive retour)

CD

Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky

 

Tenor

Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Licht des neunten Erwägungsgrundes dieser Richtlinie und in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes

sind dahin auszulegen, dass

sie es nicht zulassen, dass eine Rückkehrentscheidung nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 gegenüber einem Drittstaatsangehörigen erlassen wird, nachdem dieser einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, aber bevor über diesen erstinstanzlich entschieden wurde, unabhängig davon, auf welchen Zeitraum des Aufenthalts in der Rückkehrentscheidung Bezug genommen wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-257/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Krajský soud v Brně (Regionalgericht Brno [Brünn], Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 28. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 14. April 2022, in dem Verfahren

CD

gegen

Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten Z. Csehi, des Präsidenten der fünften Kammer E. Regan (Berichterstatter) und des Richters D. Gratsias,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        der tschechischen Regierung, vertreten durch A. Edelmannová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma, A. Katsimerou und M. Salyková als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 und 3 sowie von Art. 5 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98) in Verbindung mit Art. 2, Art. 4 und Art. 19 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen CD, einem algerischen Staatsangehörigen, und dem Ministerstvo vnitra České republiky, Odbor azylové a migrační politiky (Innenministerium der Tschechischen Republik, Abteilung für Asyl- und Migrationspolitik, im Folgenden: Innenministerium) wegen einer Rückkehrentscheidung, die der Ředitelství služby cizinecké policie (Direktorat des Ausländerpolizeidiensts, Tschechische Republik, im Folgenden: Direktorat der Fremdenpolizei) gegenüber CD getroffen hat (im Folgenden: in Rede stehende Rückkehrentscheidung).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 2008/115

Rz. 3

Die Erwägungsgründe 9 und 12 der Richtlinie 2008/115 lauten:

„(9)      Gemäß der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft [(ABl. 2005, L 326, S. 13)] sollten Drittstaatsangehörige, die in einem Mitgliedstaat Asyl beantragt haben, so lange nicht als illegal im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhältige Person gelten, bis eine abschlägige Entscheidung über den Antrag oder eine Entscheidung, mit der [ihr] Aufenthaltsrecht als Asylbewerber beendet wird, bestandskräftig geworden ist.

(12)      Die Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich unrechtmäßig im Land aufhalten, aber noch nicht abgeschoben werden können, sollte geregelt werden. Die Festlegungen hinsichtlich der Sicherung des Existenzminimums dieser Personen sollten nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften getroffen werden. Die betreffenden Personen sollten eine schriftliche Bestätigung erhalten, damit sie im Falle administrativer Kontrollen oder Überprüfungen ihre besondere Situation nachweisen können. Die Mitgliedstaaten sollten hinsichtlich der Gestaltung ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge