Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Begriff ‚illegaler Aufenthalt’. Erlass einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz durch die zuständige Behörde. Grundsatz der Nichtzurückweisung. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Gestattung des Verbleibs in einem Mitgliedstaat
Normenkette
Richtlinie 2008/115/EG Art. 3 Nr. 2, Art. 6; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 18, 19 Abs. 2, Art. 47
Beteiligte
Tenor
Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist in Verbindung mit der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft und im Licht des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, die in den Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind, dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115, die sich gegen einen Drittstaatsangehörigen richtet, der internationalen Schutz beantragt hat, und die gleich nach der Ablehnung dieses Antrags durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung und somit vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ergeht, nicht entgegensteht, sofern der betreffende Mitgliedstaat u. a. gewährleistet, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115 und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 8. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 31. März 2016, in dem Verfahren
Sadikou Gnandi
gegen
État belge
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), J. L. da Cruz Vilaça, C. G. Fernlund und C. Vajda, des Richters E. Juhász, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby, der Richterin M. Berger, des Richters E. Jarašiūnas, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Gnandi, vertreten durch D. Andrien, avocat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von C. Piront, S. Matray und D. Matray, avocats,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga und M. Heller als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juni 2017,
aufgrund des Beschlusses vom 25. Oktober 2017, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Gnandi, vertreten durch D. Andrien, avocat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, M. Jacobs und C. Van Lul als Bevollmächtigte im Beistand von C. Piront, S. Matray und D. Matray, avocats,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch R. Kanitz als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. de Moustier, E. Armoët und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, P. Huurnink und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Cattabriga, M. Heller und M. Condou-Durande als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der ergänzenden Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Februar 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments...