Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Einziehungsentscheidungen. Rahmenbeschluss 2006/783/JI. Für die Vollstreckung maßgebendes Recht. Recht des Vollstreckungsstaats, wonach bei unterbliebener Vollstreckung der Einziehungsentscheidung Ordnungshaft verhängt werden darf. Konformität. Recht des Entscheidungsstaats, wonach ebenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf. Keine Auswirkung
Beteiligte
Tenor
1. Art. 12 Abs. 1 und 4 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Vollstreckungsmitgliedstaats wie den im Ausgangsverfahren fraglichen, wonach zur Vollstreckung einer im Entscheidungsstaat ergangenen Einziehungsentscheidung gegebenenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf, nicht entgegensteht.
2. Die Tatsache, dass auch nach dem Recht des Entscheidungsstaats gegebenenfalls Ordnungshaft verhängt werden darf, ist für die Möglichkeit der Verhängung einer solchen Maßnahme im Vollstreckungsstaat ohne Bedeutung.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank Noord-Nederland (Bezirksgericht Nordniederlande, Niederlande) mit Entscheidung vom 1. Februar 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Februar 2018, in dem Strafverfahren gegen
ET
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), der Richterin C. Toader sowie der Richter A. Rosas und L. Bay Larsen,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der niederländischen Regierung, vertreten durch J. M. Hoogveld und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, M. Hellmann und E. Lankenau als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 des Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen (ABl. 2006, L 328, S. 59).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens betreffend einen Antrag des Openbaar Ministerie (Staatsanwaltschaft, Niederlande) auf Erteilung der Erlaubnis zur Verhängung von Ordnungshaft, durch die sichergestellt werden soll, dass eine in Belgien gegen ET ergangene Einziehungsentscheidung in den Niederlanden vollstreckt werden kann.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 1, 7, 8 und 13 des Rahmenbeschlusses 2006/783 heißt es:
„(1) Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere betont, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der Union werden sollte.
…
(7) Das Hauptmotiv für organisierte Kriminalität ist wirtschaftlicher Gewinn. Im Rahmen einer effizienten Verhütung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität muss der Schwerpunkt daher auf die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten gelegt werden. Jedoch reicht es nicht aus, nur die gegenseitige Anerkennung vorläufiger rechtlicher Maßnahmen wie Einfrieren oder Beschlagnahme in der Europäischen Union sicherzustellen; für eine effiziente Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ist auch eine gegenseitige Anerkennung der Entscheidungen zur Einziehung der Erträge aus Straftaten erforderlich.
(8) Zweck dieses Rahmenbeschlusses ist es, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zur Einziehung von Vermögensgegenständen zu erleichtern, so dass ein Mitgliedstaat verpflichtet wird, Einziehungsentscheidungen, die von einem in Strafsachen zuständigen Gericht eines anderen Mitgliedstaats erlassen wurden, anzuerkennen und in seinem Hoheitsgebiet zu vollstrecken. Dieser Rahmenbeschluss steht im Zusammenhang mit dem Rahmenbeschluss 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten [(ABl. 2005, L 68, S. 49)]. Ziel jenes Rahmenbeschlusses ist es, sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten über wirksame Vorschriften für die Einziehung von Erträgen aus Straftaten verfügen, unter anderem über die Beweislast für die Herkunft der Vermögenswerte einer Person, die wegen einer Straftat im Zusammenhang mit org...