Entscheidungsstichwort (Thema)
zum Artikel 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen. Verbot der Doppelbestrafung. Anwendungsbereich. Entscheidung der Justizbehörden eines Mitgliedstaats, von der Strafverfolgung einer Person nur wegen der Eröffnung eines vergleichbaren Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat abzusehen
Beteiligte
Tenor
Das Verbot der Doppelbestrafung, das in Artikel 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen verankert ist, findet keine Anwendung auf eine Entscheidung der Gerichte eines Mitgliedstaats, mit der ein Verfahren für beendet erklärt wird, nachdem die Staatsanwaltschaft beschlossen hat, die Strafverfolgung nur deshalb nicht fortzusetzen, weil in einem anderen Mitgliedstaat Strafverfolgungsmaßnahmen gegen denselben Beschuldigten wegen derselben Tat eingeleitet worden sind, und ohne dass eine Prüfung in der Sache erfolgt ist.
Tatbestand
In der Rechtssache C-469/03
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 35 EU, eingereicht vom Tribunale Bologna (Italien) mit Entscheidung vom 22. September 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2003, in dem Strafverfahren gegen
Filomeno Mario Miraglia
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter R. Schintgen (Berichterstatter) und P. Kuris,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Dezember 2004,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von F. M. Miraglia, vertreten durch Rechtsanwältin N. Trifirò,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Apessos, I. Bakopoulos und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch R. Abraham, G. de Bergues und C. Isidoro als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster und J. van Bakel als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. de March und W. Bogensberger als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: Durchführungsübereinkommen), das am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichnet worden ist.
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines gegen Filomeno Mario Miraglia eingeleiteten Strafverfahrens, der beschuldigt wird, zusammen mit anderen Personen den Transport von Betäubungsmitteln (Heroin) nach Bologna organisiert zu haben.
Rechtlicher Rahmen
Das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen
3
Nach Artikel 1 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, das durch den Vertrag von Amsterdam dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft als Anhang beigefügt wurde (im Folgenden: Protokoll), sind dreizehn Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter die Italienische Republik und das Königreich der Niederlande, ermächtigt, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands, wie er im Anhang zu diesem Protokoll beschrieben ist, zu begründen.
4
Zu dem dort beschriebenen Schengen-Besitzstand gehören insbesondere das am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichnete Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 13, im Folgenden: Schengener Übereinkommen) sowie das Durchführungsübereinkommen.
5
Nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 1 des Protokolls ist ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vertrages von Amsterdam der Schengen-Besitzstand für die in Artikel 1 dieses Protokolls aufgeführten dreizehn Mitgliedstaaten sofort anwendbar.
6
Der Rat der Europäischen Union erließ nach Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 2 Satz 2 des Protokolls am 20. Mai 1999 den ...