Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Art. 45 AEUV und 48 AEUV. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Wahrung der Ansprüche auf eine Zusatzrente. Untätigkeit des Rates. Arbeitnehmer, der von demselben Arbeitgeber aufeinanderfolgend in mehreren Mitgliedstaaten beschäftigt wurde
Beteiligte
Tenor
1. Art. 48 AEUV hat keine unmittelbare Wirkung, auf die sich ein Einzelner gegenüber einem Arbeitgeber aus dem Privatsektor vor den nationalen Gerichten berufen kann.
2. Art. 45 AEUV ist dahin auszulegen, dass er im Rahmen der zwingenden Anwendung eines Tarifvertrags dem entgegensteht,
- dass bei der Bestimmung des Zeitraums für den Erwerb von endgültigen Ansprüchen auf eine Zusatzrente in einem Mitgliedstaat die Dienstjahre nicht berücksichtigt werden, die der betroffene Arbeitnehmer für denselben Arbeitgeber in dessen Betriebsniederlassungen in anderen Mitgliedstaaten im Rahmen desselben übergreifenden Arbeitsvertrags abgeleistet hat, und
- dass ein Arbeitnehmer, der von einer in einem Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte seines Arbeitgebers in eine Betriebsstätte desselben Arbeitgebers in einem anderen Mitgliedstaat versetzt wurde, als ein Arbeitnehmer angesehen wird, der diesen Arbeitgeber freiwillig verlassen hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Arbeidshof te Brussel (Belgien) mit Entscheidung vom 15. September 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 25. September 2009, in dem Verfahren
Maurits Casteels
gegen
British Airways plc
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts sowie der Richter E. Juhász, G. Arestis (Berichterstatter), J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Oktober 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Casteels, vertreten durch M. Van Asch, advocaat,
- der British Airways plc, vertreten durch C. Willems, S. Fiorelli und M. Caproni, advocaten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
- der Hellenischen Republik, vertreten durch E.-M. Mamouna, M. Michelogiannaki und S. Spyropoulos als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. November 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 45 AEUV und 48 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Casteels, einem belgischen Staatsbürger, und der Zweigniederlassung der British Airways plc (im Folgenden: BA), einer Gesellschaft englischen Rechts mit Sitz in Brüssel (Belgien), über Ansprüche des Betroffenen auf eine Zusatzrente.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
§ 1 Abs. 1 Satz 1 des deutschen Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3610, im Folgenden: BetrAVG) bestimmt:
„Ein Arbeitnehmer, dem Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses (betriebliche Altersversorgung) zugesagt worden sind, behält seine Anwartschaft, wenn sein Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls endet, sofern in diesem Zeitpunkt der Arbeitnehmer mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat und
- entweder die Versorgungszusage für ihn mindestens 10 Jahre bestanden hat
- oder der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens 12 Jahre zurückliegt und die Versorgungszusage für ihn mindestens drei Jahre bestanden hat.”
Rz. 4
§ 17 Abs. 3 BetrAVG lautet:
„Von den §§ 2 bis 5, 16, 27 und 28 kann in Tarifverträgen abgewichen werden. Die abweichenden Bestimmungen haben zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Geltung, wenn zwischen diesen die Anwendbarkeit der einschlägigen tariflichen Regelung vereinbart ist. Im Übrigen kann von den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.”
Rz. 5
Der zwischen der Düsseldorfer Betriebsniederlassung von BA und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr geschlossene Versorgungs-Tarifvertrag Nr. 3 (im Folgenden: Tarifvertrag) in der am 1. Januar 1988 geltenden Fassung sah in seinem § 7 Folgendes vor:
„(1) Arbeitnehmer, die nach dem 31. Dezember 1977 in die Dienste der BA getreten sind, erhalten beim Ausscheiden vor Vollendung der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfristen die eigenen Beiträge unverzinst zurück.
(2) Für Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1978 in die Dienste von BA eingetreten sind, gelten die folgenden Regelungen:
- Arbeitnehmer mit unverfallbaren Ansprüchen können bei Ausscheiden aus der Firma vor Erreichen der Altersgrenze die Auszahlung des Wertes des durch eigene Beiträge sic...