Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Grundsätze des Rechts der Europäischen Union. Vorrang. Unmittelbare Wirkung. Loyale Zusammenarbeit. Pflichten eines Mitgliedstaats, die sich aus einem Vorabentscheidungsurteil ergeben. Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts durch den Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsurteil. Pflicht, dem Unionsrecht die volle Wirksamkeit zu verschaffen. Pflicht eines nationalen Gerichts, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof zuwiderläuft. Verwaltungsentscheidung, die mangels gerichtlichen Rechtsbehelfs bestandskräftig geworden ist. Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität. Haftung des Mitgliedstaats

 

Normenkette

EUV Art. 4 Abs. 3; AEUV Art. 63

 

Beteiligte

„Grossmania”

„Grossmania” Mezőgazdasági Termelő és Szolgáltató Kft

Vas Megyei Kormányhivatal

 

Tenor

Das Unionsrecht, insbesondere Art. 4 Abs. 3 EUV und Art. 267 AEUV, ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einer Klage gegen eine Entscheidung befasst ist, mit der ein Antrag auf Wiedereintragung von Nießbrauchsrechten abgelehnt wird, die kraft Gesetzes erloschen und aufgrund einer mit Art. 63 AEUV in seiner Auslegung durch den Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsurteil unvereinbaren nationalen Regelung im Grundbuch gelöscht worden sind, verpflichtet ist,

  • diese Regelung unangewendet zu lassen und,
  • sofern keine objektiven und legitimen Hindernisse, insbesondere rechtlicher Art, bestehen, der zuständigen Verwaltungsbehörde gegenüber anzuordnen, die Nießbrauchsrechte wieder einzutragen, auch wenn die Löschung dieser Rechte nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen gerichtlich angefochten wurde und folglich nach nationalem Recht bestandskräftig geworden ist.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Győri Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Győr, Ungarn) mit Entscheidung vom 6. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 2020, in dem Verfahren

”Grossmania” Mezőgazdasági Termelő és Szolgáltató Kft.

gegen

Vas Megyei Kormányhivatal

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer A. Prechal in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Dritten Kammer (Berichterstatterin), der Richter J. Passer und F. Biltgen, der Richterin L. S. Rossi und des Richters N. Wahl,

Generalanwalt: E. Tanchev,

Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juni 2021,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der „Grossmania” Mezőgazdasági Termelő és Szolgáltató Kft., vertreten durch T. Szendrő-Németh, Ügyvéd,
  • der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér als Bevollmächtigten,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
  • der spanischen Regierung, vertreten durch J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Erlbacher, L. Malferrari und L. Havas als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. September 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 267 AEUV.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „Grossmania” Mezőgazdasági Termelő és Szolgáltató Kft. (im Folgenden: Grossmania) und der Vas Megyei Kormányhivatal (Regierungsbehörde für das Komitat Vas, Ungarn) wegen der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der ein Antrag auf Wiedereintragung von kraft Gesetzes erloschenen und gelöschten Nießbrauchsrechten in das Grundbuch abgelehnt wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Anhang X der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2003, L 236, S. 33) trägt die Überschrift „Liste nach Artikel 24 der Beitrittsakte: Ungarn”. In Nr. 2 von Kapitel 3 („Freier Kapitalverkehr”) dieses Anhangs heißt es:

„Unbeschadet der Verpflichtungen aus den Verträgen, auf die sich die Europäische Union gründet, kann Ungarn die Verbote des Erwerbs von landwirtschaftlichen Flächen durch natürliche Personen, die weder ihren Wohnsitz in Ungarn haben noch ungarische Staatsbürger sind, sowie durch juristische Personen gemäß seinen zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieser Akte geltenden Rechtsvorschriften nach dem Beitritt sieben Jahre lang beibehalten. Auf keinen Fall dürfen Staatsangehörige der Mitgliedstaaten oder juristische Personen, die gemäß den Gesetzen eines anderen Mitgliedstaats geschaffen wurden, beim Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen ungünstiger als am Tag der Unterzeichnung des Beitrittsvertrags behandelt werden...

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