Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Öffentliche Aufträge. Aufträge, die nicht die in der Richtlinie 2004/18/EG vorgesehene Schwelle erreichen. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Voraussetzungen für den Ausschluss eines Ausschreibungsverfahrens. Eignungskriterien hinsichtlich der persönlichen Lage des Bieters. Verpflichtungen zur Zahlung der Sozialbeiträge. Begriff des schwerwiegenden Verstoßes. Differenz zwischen den geschuldeten und den entrichteten Beträgen von mehr als 100 Euro und mehr als 5 % der geschuldeten Beträge
Normenkette
Richtlinie 2004/18/EG; AEUV Art. 49, 56
Beteiligte
Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici |
Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici |
Tenor
1. Die Art. 49 AEUV und 56 AEUV sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind dahin auszulegen, dass sie innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, die die öffentlichen Auftraggeber bei öffentlichen Bauaufträgen, deren Wert unter der in Art. 7 Buchst. c der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 geänderten Fassung festgelegten Schwelle liegt, verpflichten, einen Bieter, der sich einen Verstoß bei der Entrichtung der Sozialbeiträge zuschulden kommen lassen hat, vom Vergabeverfahren für einen solchen Auftrag auszuschließen, wenn die Differenz zwischen den geschuldeten und den entrichteten Beträgen mehr als 100 Euro und gleichzeitig mehr als 5 % der geschuldeten Beträge ausmacht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per la Lombardia (Italien) mit Entscheidung vom 15. März 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Juli 2012, in dem Verfahren
Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici
gegen
Comune di Milano,
Beteiligte:
Pascolo Srl,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung von Herrn A. Rosas in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zehnten Kammer und der Richter D. Šváby und C. Vajda (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici, vertreten durch N. Seminara, R. Invernizzi und M. Falsanisi, avvocati,
- der Comune di Milano, vertreten durch M. Maffey und S. Pagano, avvocati,
- der Pascolo Srl, vertreten durch A. Tornitore, F. Femiano, G. Fuzier und G. Sorrentino, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár und L. Pignataro-Nolin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 49 AEUV, 56 AEUV und 101 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici (im Folgenden: Libor) und der Comune di Milano (Stadt Mailand), über die Entscheidung Letzterer, die endgültige Erteilung des Zuschlags für einen öffentlichen Bauauftrag an Libor mit der Begründung aufzuheben, Libor habe gegen seine Verpflichtungen zur Zahlung von Sozialbeiträgen in Höhe von 278 Euro verstoßen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30. November 2009 (ABl. L 314, S. 64) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2004/18) lautet:
„Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere des Grundsatzes des freien Warenverkehrs, des Grundsatzes der Niederlassungsfreiheit und des Grundsatzes der Dienstleistungsfreiheit sowie der davon abgeleiteten Grundsätze wie z. B. des Grundsatzes der Gleichbehandlung, des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes der Transparenz. Für öffentliche Aufträge, die einen bestimmten Wert überschreiten, empfiehlt sich indessen die Ausarbeitung von auf diesen Grundsätzen beruhenden Bestimmungen zur gemeinschaftlichen Koordinierung de...