Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Ersatz des durch eine nach Art. 101 Abs. 1 AEUV verbotene Verhaltensweise verursachten Schadens. Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für Lastkraftwagen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union. Zeitliche Geltung. Begriff der relevanten Beweismittel, die sich in der Verfügungsgewalt des Beklagten oder eines Dritten befinden. Offenlegung von bestimmten einzelnen Beweismitteln oder relevanten Kategorien von Beweismitteln auf der Grundlage der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen. Prüfung der Verhältnismäßigkeit der beantragten Offenlegung von Beweismitteln. Abwägung der berechtigten Interessen der Parteien und Dritten. Umfang der sich aus diesen Vorschriften ergebenden Verpflichtungen
Normenkette
AEUV Art. 101 Abs. 1; Richtlinie 2014/104/EU Art. 22 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2-3
Beteiligte
DAF Trucks Deutschland GmbH |
Tenor
Art. 5 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union
ist dahin auszulegen, dass
sich die dort angesprochenen relevanten Beweismittel, die sich in der Verfügungsgewalt des Beklagten oder eines Dritten befinden, auch auf solche beziehen, die derjenige, gegen den sich der Antrag auf Offenlegung von Beweismitteln richtet, neu erstellen muss, indem er Informationen, Kenntnisse oder Daten, die sich in seiner Verfügungsgewalt befinden, zusammenstellt oder klassifiziert, vorbehaltlich der strikten Wahrung von Art. 5 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie, der die befassten nationalen Gerichte dazu verpflichtet, dass die von ihnen angeordnete Offenlegung von Beweismitteln relevant, verhältnismäßig und erforderlich ist, wobei sie die berechtigten Interessen und Grundrechte des Antragsgegners berücksichtigen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Mercantil n° 7 de Barcelona (Handelsgericht Nr. 7 Barcelona, Spanien) mit Entscheidung vom 21. Februar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 11. März 2021, in dem Verfahren
AD u. a.
gegen
PACCAR Inc,
DAF TRUCKS NV,
DAF Trucks Deutschland GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von AD u. a., vertreten durch J. A. Roger Gámir, Abogado, und F. Bertrán Santamaría, Procurador,
- der PACCAR Inc, DAF TRUCKS NV und DAF Trucks Deutschland GmbH, vertreten durch C. Gual Grau, Abogado, M. de Monchy und J. K. de Pree, Advocaten, D. Sarmiento Ramírez-Escudero sowie P. Vidal Martínez, Abogados,
- der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz und J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Baches Opi, A. Carrillo Parra und F. Jimeno Fernández als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. April 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen AD und den 44 weiteren Klägern des Ausgangsverfahrens auf der einen sowie der PACCAR Inc, der DAF Trucks NV und der DAF Trucks Deutschland GmbH auf der anderen Seite über den Ersatz eines Schadens, der durch die von der Europäischen Kommission festgestellte und mit einer Sanktion belegte Beteiligung dieser Gesellschaften an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV entstanden sein soll.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 heißt es:
„Zur Sicherstellung wirksamer privater zivilrechtlicher Durchsetzungsmaßnahmen und einer wirksamen öffentlichen Rechtsdurchsetzung durch die Wettbewerbsbehörden müssen beide Instrumente zusammenwirken, damit die Wettbewerbsvorschriften höchstmögliche Wirkung entfalten. Es ist erforderlich, die Koordinierung zwischen den beiden Formen der Durchsetzung kohärent zu regeln, zum Beispiel in Bezug auf den Zugang zu Unterlagen, die sic...