Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittel. Staatliche Beihilfen. Luftverkehrssektor. Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen Mailand-Linate (Italien) und Mailand-Malpensa (Italien). Kapitalzuführungen des Betreibers dieser Flughäfen an seine 100%ige Tochtergesellschaft, die diese Dienstleistungen erbringt. Betreiber in staatlichem Eigentum. Beschluss, mit dem diese staatlichen Beihilfen für rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt werden. Begriffe ‚staatliche Mittel’, ‚dem Staat zurechenbare Maßnahme’ und ‚wirtschaftlicher Vorteil’. Grundsatz des privaten Wirtschaftsteilnehmers. Kriterium des privaten Kapitalgebers. Beweislast. Komplexe wirtschaftliche Beurteilungen. Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Verfälschung von Beweisen
Normenkette
AEUV Art. 107 Abs. 1
Beteiligte
Comune di Milano / Kommission |
Tenor
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Comune di Milano trägt die Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 22. Februar 2019,
Comune di Milano (Italien), Prozessbevollmächtigte: A. Mandarano, E. Barbagiovanni, S. Grassani und L. Picciano, avvocati,
Klägerin,
andere Partei des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch D. Recchia, G. Conte und D. Grespan als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter M. Ilešič, A. Kumin und T. von Danwitz,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juni 2020,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Juli 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrem Rechtsmittel begehrt die Comune di Milano (Stadt Mailand, Italien) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Dezember 2018, Comune di Milano/Kommission (T-167/13, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:940), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2015/1225 der Kommission vom 19. Dezember 2012 über die von der SEA SpA zugunsten der SEA Handling SpA vorgenommenen Kapitalerhöhungen (SA.21420 [C 14/10] [ex NN 25/10] [ex CP 175/06]) (ABl. 2015, L 201, S. 1, im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen hat.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Rz. 2
Die SEA SpA betreibt die Flughäfen Mailand-Linate (Italien) und Mailand-Malpensa (Italien). Von 2002 bis 2010 (im Folgenden: fraglicher Zeitraum) wurde ihr Kapital nahezu vollständig von staatlichen Stellen gehalten, und zwar zu 84,56 % von der Stadt Mailand, zu 14,56 % von der Provincia di Milano (Provinz Mailand, Italien) und zu 0,88 % von sonstigen öffentlichen und privaten Kleinaktionären. Im Dezember 2011 erwarb F2i – Fondi Italiani per le infrastrutture SGR SpA für Rechnung zweier von ihr gehaltener Fonds 44,31 % des Kapitals der SEA, und zwar einen Teil des von der Stadt Mailand gehaltenen Kapitals (29,75 %) und das gesamte von der Provinz Mailand gehaltene Kapital (14,56 %).
Rz. 3
Bis zum 1. Juni 2002 erbrachte die SEA selbst Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen Mailand-Linate und Mailand-Malpensa. Nach Inkrafttreten des Decreto legislativo n. 18 – Attuazione della direttiva 96/67/CE relativa al libero accesso al mercato dei servizi di assistenza a terra negli aeroporti della Comunità (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 18 zur Umsetzung der Richtlinie 96/67/EG über den Zugang zum Markt der Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen der Gemeinschaft) vom 13. Januar 1999 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 28 vom 4. Februar 1999) vollzog die SEA gemäß der in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 96/67/EG des Rates vom 15. Oktober 1996 über den Zugang zum Markt der Bodenabfertigungsdienste auf den Flughäfen der Gemeinschaft (ABl. 1996, L 272, S. 36) vorgesehenen Verpflichtung die buchmäßige und rechtliche Trennung zwischen ihren mit den Bodenabfertigungsdiensten verbundenen und ihren übrigen Tätigkeiten. Zu diesem Zweck gründete sie eine neue, zur Gänze von ihr kontrollierte Gesellschaft, die SEA Handling SpA, die ab dem 1. Juni 2002 mit der Erbringung von Bodenabfertigungsdiensten auf den Flughäfen Mailand-Linate und Mailand-Malpensa betraut wurde.
Rz. 4
Am 26. März 2002 wurde zwischen der Stadt Mailand, der SEA und den Gewerkschaftsverbänden eine Vereinbarung (im Folgenden: Gewerkschaftsvereinbarung vom 26. März 2002) geschlossen, worin es heißt:
„Die Verwaltung der Stadt Mailand … bestätigt …,
- dass die SEA mindestens weitere fünf Jahre einen Mehrheitsanteil an dem Bodenabfertigungsunternehmen halten wird;
- dass die SEA die Gewerkschaftsverbände über eventuelle Partner unterrichtet und ihnen den Geschäftsplan und die Strukturaufstellung des Unternehmens zur Prüfung vorlegt. … Die Vereinbarung, die...