Entscheidungsstichwort (Thema)
Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Freier Dienstleistungsverkehr. Nationale Regelung. Zahlung der einem privaten Arbeitsvermittler für eine Vermittlung geschuldeten Vergütung durch den Mitgliedstaat. In diesem Mitgliedstaat sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Beschränkung. Rechtfertigung. Verhältnismäßigkeit
Beteiligte
ITC Innovative Technology Center GmbH |
Tenor
1. Die Art. 39 EG, 49 EG und 50 EG stehen einer nationalen Regelung wie § 421g Abs. 1 Satz 2 des Dritten Buches des deutschen Sozialgesetzbuchs entgegen, nach der die Zahlung der einem privaten Arbeitsvermittler von einem Arbeitsuchenden für seine Vermittlung geschuldeten Vergütung durch einen Mitgliedstaat voraussetzt, dass die von diesem Vermittler vermittelte Beschäftigung in diesem Staat sozialversicherungspflichtig ist.
2. Es obliegt dem nationalen Gericht, eine innerstaatliche Vorschrift unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden und, soweit eine solche konforme Auslegung nicht möglich ist, bei Vertragsbestimmungen, die dem Einzelnen Rechte verleihen, die er gerichtlich geltend machen kann und die die nationalen Gerichte zu wahren haben, Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, die diesen Bestimmungen entgegenstehen, unangewendet zu lassen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Sozialgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 11. April 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2005, in dem Verfahren
ITC Innovative Technology Center GmbH
gegen
Bundesagentur für Arbeit
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter A. Borg Barthet, J. Malenovský, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Mai 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ITC Innovative Technology Center GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt L. A. Wenderoth,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und I. Kaufmann-Bühler als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 5. Oktober 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 18 EG, 39 EG und 49 EG, des Art. 87 EG in Verbindung mit den Art. 81 EG, 85 EG und 86 EG sowie der Art. 3 und 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ITC Innovative Technology Center GmbH (im Folgenden: ITC), einem in Deutschland ansässigen privaten Arbeitsvermittler, und der Bundesagentur für Arbeit (im Folgenden: Bundesagentur) wegen deren Weigerung, die Auszahlung auf einen Vermittlungsgutschein an ITC vorzunehmen, weil die Arbeitsstelle, die ITC dem Arbeitsuchenden vermittelt hat, nicht in Deutschland sozialversicherungspflichtig war.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsregelung
3 Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1612/68 lautet:
„Jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats ist ungeachtet seines Wohnorts berechtigt, eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften aufzunehmen und auszuüben.”
4 Art. 2 dieser Verordnung bestimmt:
„Jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats und jeder Arbeitgeber, der eine Tätigkeit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ausübt, können nach den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften ihre Stellenangebote und Arbeitsgesuche austauschen sowie Arbeitsverträge schließen und erfüllen, ohne dass sich Diskriminierungen daraus ergeben dürfen.”
5 Art. 3 der Verordnung Nr. 1612/68 sieht vor:
„(1) Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungspraktiken eines Mitgliedstaats,
- die das Stellenangebot und das Arbeitsgesuch, den Zugang zur Beschäftigung und deren Ausübung durch Ausländer einschränken oder von Bedingungen abhängig machen, die für Inländer nicht gelten,
- oder die, ohne auf die Staatsangehörigkeit abzustellen, ausschließlich oder hauptsächlich bezwecken oder bewirken, dass Angehörige der übrigen Mitgliedstaaten von der angebotenen Stelle ferngehalten werden,
finden im Rahmen dieser Verordnung keine Anwendung.
…”
6 Art. 7 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung lautet:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, fa...