Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Verbraucherkreditverträge. Verpflichtung des Kreditgebers zur Prüfung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers. Heilung eines Verstoßes durch vollständige Erfüllung des Kreditvertrags. Wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen. Nichtigkeit des Kreditvertrags und Verlust des Anspruchs des Kreditgebers auf Zahlung der vereinbarten Zinsen. Keine nachteiligen Folgen für den Verbraucher. Verantwortlichkeit der Kreditgeber und Verhinderung unverantwortlicher Praktiken bei der Vergabe von Krediten an Verbraucher

 

Normenkette

Richtlinie 2008/48/EG; Richtlinie 2008/48/EG Art. 8, 23

 

Beteiligte

Nárokuj

Nárokuj s.r.o.

EC Financial Services, a.s.

 

Tenor

Die Art. 8 und 23 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates

sind dahin auszulegen, dass

sie in einem Fall, in dem der Kreditgeber gegen seine Verpflichtung zur Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers verstoßen hat, der Verhängung einer Sanktion gegen den Kreditgeber nach nationalem Recht, bestehend in der Nichtigkeit des Verbraucherkreditvertrags und dem Verlust seines Anspruchs auf Zahlung der vereinbarten Zinsen, auch dann nicht entgegenstehen, wenn dieser Vertrag von den Parteien vollständig erfüllt wurde und der Verstoß für den Verbraucher keine nachteiligen Folgen hatte.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-755/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Okresní soud Praha-západ (Bezirksgericht Prag-West, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 1. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Dezember 2022, in dem Verfahren

Nárokuj s.r.o.

gegen

EC Financial Services, a.s.,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Piçarra, M. Safjan (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        der Nárokuj s.r.o., vertreten durch R. Pukl, Advokát,
  • –        der EC Financial Services, a.s., vertreten durch F. Petráš, Advokát,
  • –        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, S. Šindelková und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek und I. Rubene als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Nárokuj s.r.o. und der EC Financial Services, a.s., wegen der Rückzahlung von Beträgen im Zusammenhang mit einem Kredit, den EC Financial Services einem Verbraucher gewährt hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 7, 9 und 26 der Richtlinie 2008/48 heißt es:

„(7)      Um die Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts bei Verbraucherkrediten zu erleichtern, muss in einigen Schlüsselbereichen ein harmonisierter gemeinschaftsrechtlicher Rahmen geschaffen werden. …

(9)      Eine vollständige Harmonisierung ist notwendig, um allen Verbrauchern in der Gemeinschaft ein hohes und vergleichbares Maß an Schutz ihrer Interessen zu gewährleisten und um einen echten Binnenmarkt zu schaffen. …

(26)      Die Mitgliedstaaten sollten unter Berücksichtigung der besonderen Merkmale des Kreditmarkts in ihrem jeweiligen Land geeignete Maßnahmen zur Förderung verantwortungsvoller Verfahren in allen Phasen der Kreditvergabe ergreifen. Zu diesen Maßnahmen kann beispielsweise die Unterrichtung und Aufklärung der Verbraucher, einschließlich Warnungen vor dem Risiko des Zahlungsverzugs oder der Überschuldung, gehören. Insbesondere auf dem expandierenden Kreditmarkt ist es wichtig, dass Kreditgeber nicht verantwortungslos in der Kreditvergabe tätig werden oder Kredite ohne vorherige Beurteilung der Kreditwürdigkeit vergeben, und die Mitgliedstaaten sollten die erforderlichen Kontrollen durchführen, um derartige Verhaltensweisen zu unterbinden und sie sollten die erforderlichen Sanktionsmittel für jene Kreditgeber bestimmen, die sich so verhalten. … Kreditgeber [sollten] dafür verantwortlich sein, in jedem Einzelfall die Bewertung der Kreditwürdigkeit des Verbrauchers zu prüfen. Zu diesem Zweck sollten sie nicht nur die vom Verbraucher im Rahmen der Vorbereitung des betreffenden Kreditvertrags, sondern auch die während einer schon länger bestehenden Geschäftsbeziehung erteilten Auskünfte heranziehen dürfen. Die Behörden der Mitgliedstaaten könnten den Kreditgebern geeignete Anweisungen erteilen und Leitlinien v...

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