Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Postdienste. Anbieter von Universaldienstleistungen. Mengenrabatte. Anwendung auf Konsolidierer von Postsendungen. Diskriminierungsverbot
Normenkette
Richtlinie 97/67/EG Art. 12
Beteiligte
Institut belge des services postaux et des télécommunications (IBPT) |
Tenor
Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung in Bezug auf die Tarife gemäß Art. 12 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einem System von Mengenrabatten je Absender wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AUEV, eingereicht von der Cour d'appel de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 12. Juni 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juni 2013, in dem Verfahren
bpost SA
gegen
Institut belge des services postaux et des télécommunications (IBPT)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer sowie der Richter J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev und J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter),
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der bpost SA, vertreten durch H. Gilliams, J. Bocken und T. Baumé, avocats,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von S. Depré und P. Vernet, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F. Gloaguen als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch E. Karlsson und A. Falk als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe und F. W. Bulst als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Oktober 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl. 1998, L 15, S. 14) in der durch die Richtlinie 2008/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Februar 2008 (ABl. L 52, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 97/67).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der bpost SA (im Folgenden: bpost), einem Anbieter postalischer Universaldienstleistungen in Belgien, und dem Institut belge des services postaux et des télécommunications (IBPT) wegen einer Entscheidung dieser Behörde, bpost die Zahlung einer Geldbuße aufzuerlegen, weil sie mit der Einführung der Vertragstarife für das Jahr 2010 gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung verstoßen habe.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Mit ihren sukzessiven Änderungen durch die Richtlinien 2002/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 (ABl. L 176, S. 21) und 2008/6 verfolgt die Richtlinie 97/67 den 1998 eingeleiteten Prozess einer schrittweisen Liberalisierung des Marktes für Postdienste.
Rz. 4
Der achte Erwägungsgrund der Richtlinie 97/67 lautet:
„Maßnahmen zur schrittweisen und kontrollierten Liberalisierung des Marktes und zur Wahrung eines angemessenen Gleichgewichts bei deren Durchführung sind notwendig, um gemeinschaftsweit das freie Angebot von Diensten im Postsektor unter Beachtung der Pflichten und Rechte der Anbieter von Universaldienstleistungen zu gewährleisten.”
Rz. 5
Art. 2 dieser Richtlinie bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
1. ‚Postdienste’ die Dienste im Zusammenhang mit der Abholung, dem Sortieren, dem Transport und der Zustellung von Postsendungen;
…
16. ‚Absender’ die natürliche oder juristische Person, die Urheber von Postsendungen ist;
…”
Rz. 6
Art. 12 der Richtlinie lautet:
„Die Mitgliedstaaten unternehmen Schritte, um zu gewährleisten, dass die Tarife für die einzelnen Universaldienstleistungen folgenden Grundsätzen entsprechen:
- Die Preise müssen erschwinglich sein und es ungeachtet der geografischen Lage und unter Berücksichtigung der landesspezifischen Bedingungen ermöglichen, dass alle Nutzer Zugang zu den angebotenen Diensten haben. Die Mitgliedstaaten können kostenlose Postdienstleistungen für Blinde und Sehbehinderte aufrechterhalten oder einführen;
- die Preise müssen kostenorientiert sein und Anreiz...