Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen. Erlass einer Ausweisungsverfügung gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten. Zu berücksichtigende Gesichtspunkte. Nationale Rechtsprechung. Fehlende Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte. Vereinbarkeit. Gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen. Relevanz
Normenkette
Richtlinie 2003/109/EG Art. 12; Richtlinie 2001/40/EG
Beteiligte
Subdelegación del Gobierno en Guadalajara |
Subdelegación del Gobierno en Guadalajara |
Tenor
Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die – in der Auslegung durch die nationale Rechtsprechung, die unter Verweis auf die Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen erfolgt – die Ausweisung eines Drittstaatsangehörigen vorsieht, der Inhaber einer langfristigen Aufenthaltsberechtigung ist und eine mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedrohte Straftat begangen hat, ohne dass es erforderlich ist, zu prüfen, ob dieser Drittstaatsangehörige eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt, und die Dauer seines Aufenthalts im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, sein Alter, die Folgen für ihn und seine Familienangehörigen sowie seine Bindungen zum Aufenthaltsmitgliedstaat oder fehlende Bindungen zu seinem Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La Mancha (Oberster Gerichtshof von Kastilien-La Mancha, Spanien) mit Entscheidung vom 15. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Juni 2019, in dem Verfahren
WT
gegen
Subdelegación del Gobierno en Guadalajara
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin, des Präsidenten der Vierten Kammer M. Vilaras (Berichterstatter) und der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von WT, vertreten durch A. García Herrera und A. Abeijón Martínez, abogados,
- der spanischen Regierung, zunächst vertreten durch M. J. García-Valdecasas Dorrego, dann durch S. Jiménez García als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Pardo Quintillán und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44) in Verbindung mit der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. 2001, L 149, S. 34).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen WT und der Subdelegación del Gobierno en Guadalajara (Vertretung der Regierung in der Provinz Guadalajara, Spanien) wegen einer Entscheidung dieser Behörde, mit der die Ausweisung von WT aus dem spanischen Hoheitsgebiet angeordnet wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2003/109
Rz. 3
Art. 12 („Ausweisungsschutz”) Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2003/109 sieht vor:
„(1) Die Mitgliedstaaten können nur dann gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, wenn er eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt.
…
(3) Bevor sie gegen einen langfristig Aufenthaltsberechtigten eine Ausweisung verfügen, berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:
- Dauer des Aufenthalts in ihrem Hoheitsgebiet,
- Alter der betreffenden Person,
- Folgen für die betreffende Person und ihre Familienangehörigen,
- Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat.”
Richtlinie 2001/40
Rz. 4
Nach Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2001/40 soll mit dieser die Anerkennung einer Rückführungsentscheidung ermöglicht werden, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gegenüber einem Drittstaatsangehörigen erlassen wurde, der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält.
Rz. 5
Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Die Rückführung nach Artikel 1 betrifft die folgenden Fälle:
a) Gegen den Drittstaatsangehörigen ergeht eine Rückführungsentscheidung, die mit einer schwerwiegenden und akuten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit begründet...