Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkünfte aus nichtvermieteten Immobilien in anderem Mitgliedstaat, Doppelbesteuerung, Progressionsvorbehalt
Leitsatz (amtlich)
Art. 63 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, sofern sie bei der Anwendung einer in einem Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Progressionsklausel allein deshalb zu einem höheren Einkommensteuersatz führt, weil die Methode zur Ermittlung der Einkünfte aus Immobilien darauf hinausläuft, dass Einkünfte aus in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen nicht vermieteten Immobilien höher bewertet werden als Einkünfte aus solchen Immobilien, die im erstgenannten Mitgliedstaat gelegen sind. Das vorlegende Gericht hat zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung dies bewirkt.
Normenkette
AEUV Art. 63
Beteiligte
Ronny Verest, Gaby Gerards |
Verfahrensgang
Hof van Beroep Antwerpen (Belgien) (Urteil vom 03.09.2013; ABl. EU 2013, Nr. C 352/7) |
Tatbestand
„Vorlage zur Vorabentscheidung ‐ Einkommensteuer ‐ Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ‐ Besteuerung der in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnmitgliedstaat erzielten Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen ‐ Methode der Befreiung mit Progressionsvorbehalt im Wohnmitgliedstaat ‐ Ungleichbehandlung von im Wohnmitgliedstaat und in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Immobilien“
In der Rechtssache C-489/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van beroep te Antwerpen (Belgien) mit Entscheidung vom 3. September 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 10. September 2013, in dem Verfahren
Ronny Verest,
Gaby Gerards
gegen
Belgische Staat
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça sowie der Richter J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch J.-C. Halleux und M. Jacobs als Bevollmächtigte,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-S. Pilczer als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Cordewener und W. Roels als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63 AEUV und 65 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Verest und Frau Gerards einerseits und Belgische Staat andererseits über die steuerliche Behandlung einer in Frankreich gelegenen Immobilie in Belgien.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 7 § 1 des Einkommensteuergesetzbuchs 1992 (im Folgenden: EStGB 92) bestimmt:
„§ 1 ‐ Einkünfte aus unbeweglichen Gütern sind:
1. für nicht vermietete unbewegliche Güter:
a) für in Belgien gelegene Güter:
‐ das Katastereinkommen, wenn es sich um unbebaute unbewegliche Güter, Material und Ausrüstung, die ihrem Wesen oder ihrer Bestimmung nach unbeweglich sind, oder die in Artikel 12 § 3 erwähnte Wohnung handelt,
‐ das um 40 Prozent erhöhte Katastereinkommen, wenn es sich um andere Güter handelt,
b) für im Ausland gelegene Güter: der Mietwert,
…“
Rz. 4
In Art. 13 EStGB 92 heißt es:
„In Bezug auf Mietwert, Mietpreis und Mietvorteile von unbeweglichen Gütern versteht man unter Nettoeinkommen den Bruttobetrag der Einkünfte abzüglich folgender Prozentsätze für Unterhalts- und Reparaturkosten:
‐ 40 Prozent für bebaute unbewegliche Güter und für Material und Ausrüstung, die ihrem Wesen oder ihrer Bestimmung nach unbeweglich sind …
…“
Rz. 5
Art. 155 EStGB 92 sieht vor:
„Einkünfte, die aufgrund internationaler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei sind, werden für die Festlegung der Steuer berücksichtigt, wobei die Steuer jedoch im Verhältnis zum Anteil der steuerfreien Einkünfte an der Gesamtheit der Einkünfte ermäßigt wird.
…“
Rz. 6
Art. 3 Abs. 1 des am 10. März 1964 in Brüssel unterzeichneten Abkommens zwischen Frankreich und Belgien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Festlegung von Regeln über die gegenseitige Verwaltungs- und Rechtshilfe im Bereich der Einkommensteuer (im Folgenden: Doppelbesteuerungsabkommen) lautet:
„Einkünfte aus unbeweglichen Gütern einschließlich Zubehör sowie totem oder lebendem Inventar land- und forstwirtschaftlicher Betriebe sind nur in dem Vertragsstaat steuerpflichtig, in dem sich diese Güter befinden.“
Rz. 7
In Art. 19 A Abs. 2 und 4 des Doppelbesteuerungsabkommens heißt es:
„Die Doppelbesteuerung wird wie folgt vermieden:
A. In Belgien:
…
(2) Andere Einkünfte als die oben in Abs. 1 genannten sind von den in Art. 2 Abs. 3 A dieses Abkommens erwähnten belgischen Steuern befreit, wenn die Besteuerung ausschließlich Frankreich zugewiesen ist.
…
(4) Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen können die belgischen Steuern im S...