Entscheidungsstichwort (Thema)
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen. Art. 54. Verbot der Doppelbestrafung. Geltungsbereich. Verurteilung in Abwesenheit wegen derselben Tat. Begriff der rechtskräftigen Aburteilung. Nationale Verfahrensvorschriften. Begriff der nicht mehr vollstreckbaren Sanktion
Beteiligte
Tenor
Das in Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen niedergelegte Verbot der Doppelbestrafung findet auf ein Strafverfahren Anwendung, das in einem Vertragsstaat wegen einer Tat eingeleitet wird, für die der Angeklagte bereits in einem anderen Vertragsstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, auch wenn die Strafe, zu der er verurteilt wurde, nach dem Recht des Urteilsstaats wegen verfahrensrechtlicher Besonderheiten, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, nie unmittelbar vollstreckt werden konnte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 35 EU, eingereicht vom Landgericht Regensburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Mai 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juni 2007, in dem Strafverfahren gegen
Klaus Bourquain
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans sowie der Richter J.-C. Bonichot, J. Makarczyk, P. Kūris und L. Bay Larsen (Berichterstatter),
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Bourquain, vertreten durch Rechtsanwalt C.-M. Engel,
- der Staatsanwaltschaft Regensburg, vertreten durch J. Plöd, Leitender Oberstaatsanwalt,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Boček als Bevollmächtigten,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch J. Fazekas als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. de Grave als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Troosters und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. April 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 54 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ), das am 19. Juni 1990 in Schengen (Luxemburg) unterzeichnet worden ist.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Mordes, das am 11. Dezember 2002 in Deutschland gegen Herrn Bourquain, einen deutschen Staatsangehörigen, eingeleitet wurde, während ein Strafverfahren, das ein Gericht eines anderen Vertragsstaats wegen derselben Tat gegen diese Person eingeleitet hatte, am 26. Januar 1961 bereits zu einer Verurteilung in Abwesenheit geführt hatte.
Rechtlicher Rahmen
Recht der Europäischen Union
Rz. 3
Art. 1 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, das durch den Vertrag von Amsterdam dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügt wurde (im Folgenden: Protokoll), ermächtigte 13 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, darunter die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik, untereinander eine verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands, wie dieser im Anhang zu diesem Protokoll festgelegt ist, zu begründen.
Rz. 4
Der so festgelegte Schengen-Besitzstand umfasst u. a. das am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichnete Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 13) sowie das SDÜ.
Rz. 5
Der Rat der Europäischen Union erließ gemäß Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 2 des Protokolls am 20. Mai 1999 den Beschluss 1999/436/EG zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union (ABl. L 176, S. 17). Aus Art. 2 dieses Beschlusses in Verbindung mit dessen Anhang A ergibt sich, dass der Rat die Art. 34 EU und 31 EU als Rechtsgrundlagen für die Art. 54 bis 58 SDÜ festgelegt hat.
Rz. 6
Art. 54 SDÜ, der zu Kapitel 3 („Verbot der Doppel...