Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte. Anspruch eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen auf rechtliches Gehör vor Erlass einer Entscheidung, die seine Interessen beeinträchtigen kann. Rückkehrentscheidung. Anspruch auf rechtliches Gehör vor Erlass der Rückkehrentscheidung. Inhalt dieses Anspruchs
Normenkette
Richtlinie 2008/115/EG
Beteiligte
Préfet des Pyrénées-Atlantiques |
Tenor
Der Anspruch, in jedem Verfahren gehört zu werden, wie er im Rahmen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und insbesondere von Art. 6 dieser Richtlinie gilt, ist dahin auszulegen, dass er für einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen den Anspruch umfasst, vor dem Erlass einer ihn betreffenden Rückkehrentscheidung seinen Standpunkt zur Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts, zur etwaigen Anwendung der Art. 5 und 6 Abs. 2 bis 5 der genannten Richtlinie und zu den Modalitäten seiner Rückkehr vorzutragen.
Dagegen ist der Anspruch, in jedem Verfahren gehört zu werden, wie er im Rahmen der Richtlinie 2008/115 und insbesondere von deren Art. 6 gilt, dahin auszulegen, dass die zuständige nationale Behörde weder dazu verpflichtet ist, den Drittstaatsangehörigen vor der im Hinblick auf den Erlass einer Rückkehrentscheidung stattfindenden Anhörung über ihre Absicht, gegen ihn eine solche Entscheidung zu erlassen, zu unterrichten, noch ihm die Gesichtspunkte, auf die sie diese zu stützen gedenkt, mitzuteilen, noch ihm vor Einholung seiner Stellungnahme eine Bedenkzeit zu gewähren, sofern der Drittstaatsangehörige die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt zur Rechtswidrigkeit seines Aufenthalts sowie Gründe, die es nach dem nationalen Recht rechtfertigen können, dass diese Behörde vom Erlass einer Rückkehrentscheidung absieht, sachdienlich und wirksam vorzutragen.
Der Anspruch, in jedem Verfahren gehört zu werden, wie er im Rahmen der Richtlinie 2008/115 und insbesondere von deren Art. 6 gilt, ist dahin auszulegen, dass ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vor Erlass einer ihn betreffenden Rückkehrentscheidung durch die zuständige nationale Behörde einen Rechtsberater zum Beistand bei seiner Anhörung durch diese Behörde hinzuziehen kann, sofern durch die Wahrnehmung dieses Anspruchs nicht der ordnungsgemäße Ablauf des Rückkehrverfahrens und die wirksame Durchführung der Richtlinie 2008/115 beeinträchtigt werden.
Der Anspruch, in jedem Verfahren gehört zu werden, wie er im Rahmen der Richtlinie 2008/115 und insbesondere von deren Art. 6 gilt, ist jedoch dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten danach nicht zur Übernahme der Kosten dieses Beistands im Rahmen der kostenfreien Rechtshilfe verpflichtet sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal administratif de Pau (Frankreich) mit Entscheidung vom 30. April 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 6. Mai 2013, in dem Verfahren
Khaled Boudjlida
gegen
Préfet des Pyrénées-Atlantiques
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter C. Vajda, A. Rosas (Berichterstatter), E. Juhász und D. Š;váby,
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Boudjlida, vertreten durch M. Massou dit Labaquère und M. Zouine, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, F.-X. Bréchot und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und D. Maidani als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98) sowie des Anspruchs, in jedem Verfahren gehört zu werden.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Boudjlida, einem illegal aufhältigen algerischen Staatsangehörigen, und dem Préfet des Pyrénées-Atlantiques (Präfekt des Departements Pyrénées-Atlantiques) wegen dessen Entscheidung vom 15. Januar 2013, durch die Herr Boudjlida verpflichtet wurde, das französische Hoheitsgebiet zu verlassen, ihm für die freiwillige Ausreise eine Frist von 3...