Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Haftung von Luftfahrtunternehmen bei Unfällen. Begriff ‚Unfall’. Harte Landung, die im normalen Betriebsbereich des Flugzeugs liegt. Körperverletzung, die ein Fluggast bei einer solchen Landung angeblich erlitten hat. Kein Unfall
Normenkette
Übereinkommen von Montreal Art. 17 Abs. 1
Beteiligte
Altenrhein Luftfahrt GmbH |
Tenor
Art. 17 Abs. 1 des am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossenen, von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichneten und mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 in ihrem Namen genehmigten Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr ist dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „Unfall” keine Landung erfasst, die im Einklang mit den für das betreffende Flugzeug geltenden Verfahren und Betriebsgrenzen – einschließlich der Toleranzen und Spannen in Bezug auf Leistungsfaktoren, die einen erheblichen Einfluss auf die Landung haben – und unter Berücksichtigung der Regeln der Technik und der bewährten Praktiken auf dem Gebiet des Betriebs von Luftfahrzeugen durchgeführt wird, auch wenn der betroffene Fluggast diese Landung als ein unvorhergesehenes Ereignis wahrnehmen sollte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 30. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Februar 2020, in dem Verfahren
YL
gegen
Altenrhein Luftfahrt GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra (Berichterstatter), D. Šváby und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Altenrhein Luftfahrt GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin H. M. Schaflinger,
- der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten zunächst durch W. Mölls und N. Yerrell, dann durch N. Yerrell als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 des am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossenen, von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichneten und mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38) in ihrem Namen genehmigten Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (im Folgenden: Übereinkommen von Montreal), das in Bezug auf die Europäische Union am 28. Juni 2004 in Kraft getreten ist.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen YL und dem Luftfahrtunternehmen Altenrhein Luftfahrt GmbH wegen einer Schadensersatzklage, die YL wegen der Körperverletzung erhoben hat, die sie bei der Landung eines von diesem Luftfahrtunternehmen durchgeführten Fluges angeblich erlitten hat.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Der dritte und der fünfte Absatz der Präambel des Übereinkommens von Montreal sehen vor:
„[Die Vertragsstaaten erkennen die] Bedeutung des Schutzes der Verbraucherinteressen bei der Beförderung im internationalen Luftverkehr und eines angemessenen Schadenersatzes nach dem Grundsatz des vollen Ausgleichs [an];
…
gemeinsames Handeln der Staaten zur weiteren Harmonisierung und Kodifizierung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr durch ein neues Übereinkommen [ist] das beste Mittel, um einen gerechten Interessenausgleich zu erreichen”.
Rz. 4
Art. 17 („Tod und Körperverletzung von Reisenden – Beschädigung von Reisegepäck”) Abs. 1 des Übereinkommens von Montreal lautet:
„Der Luftfrachtführer hat den Schaden zu ersetzen, der dadurch entsteht, dass ein Reisender getötet oder körperlich verletzt wird, jedoch nur, wenn sich der Unfall, durch den der Tod oder die Körperverletzung verursacht wurde, an Bord des Luftfahrzeugs oder beim Ein- oder Aussteigen ereignet hat.”
Unionsrecht
Verordnung (EG) Nr. 2027/97
Rz. 5
Infolge der Unterzeichnung des Übereinkommens von Montreal wurde die Verordnung (EG) Nr. 2027/97 des Rates vom 9. Oktober 1997 über die Haftung von Luftfahrtunternehmen bei der Beförderung von Fluggästen und deren Gepäck im Luftverkehr (ABl. 1997, L 285, S. 1) durch die Verordnung (EG) Nr. 889/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Mai 2002 (ABl. 2002, L 140, S. 2) geändert (im Folgenden: Verordnung Nr. 2027/97).
Rz. 6
Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2027/97 sieht vor:
„Die in dieser Verordnung verwendeten Begriffe, die nicht in Absatz 1 definiert sind, entsprechen den im Übereinkommen von Montreal verwendeten Begriffen.”
Rz. 7
Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Für die Haftung ei...