Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Aufträge. Abfallbewirtschaftung. Inhouse-Vergabe. Wegfall der Bedingungen für eine ‚ähnliche Kontrolle’ infolge einer Umstrukturierung von Unternehmen. Möglichkeit für den die Rechtsnachfolge antretenden Wirtschaftsteilnehmer, die Erbringung der Dienstleistung fortzusetzen

 

Normenkette

Richtlinie 2014/24/EU Art. 12, 72

 

Beteiligte

Comune di Lerici

Comune di Lerici

Provincia di La Spezia

 

Tenor

Die Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Rechtsvorschrift oder Praxis entgegensteht, nach der die Ausführung eines öffentlichen Auftrags, der ursprünglich ohne Ausschreibung an eine Inhouse-Einrichtung vergeben wurde, über die der öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübte, automatisch von dem Wirtschaftsteilnehmer fortgesetzt wird, der diese Einrichtung nach einer Ausschreibung übernommen hat, wenn der öffentliche Auftraggeber über diesen Wirtschaftsteilnehmer keine solche Kontrolle ausübt und auch nicht an dessen Kapital beteiligt ist.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 18. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Dezember 2020, in dem Verfahren

Comune di Lerici

gegen

Provincia di La Spezia,

Beteiligte:

IREN SpA,

ACAM Ambiente SpA,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richter S. Rodin und J.-C. Bonichot sowie der Richterinnen L. S. Rossi und O. Spineanu-Matei,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Comune di Lerici, vertreten durch A. Fantappié und M. Clarich, Avvocati,
  • der Provincia di La Spezia, vertreten durch P. Piciocchi, Avvocato,
  • der ACAM Ambiente SpA und der IREN SpA, vertreten durch D. Anselmi, Avvocatessa, und A. Lolli, Avvocato,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. L. Vitale, Avvocato dello Stato,
  • der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils, G. Gattinara und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Comune di Lerici (Gemeinde Lerici, Italien) und der Provincia di La Spezia (Provinz La Spezia, Italien) wegen der von Letzterer erteilten Genehmigung, mit der der ACAM Ambiente SpA die Abfallbewirtschaftung dieser Gemeinde bis zum Jahr 2028 übertragen wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 12 der Richtlinie 2014/24 sieht vor:

„(1) Ein von einem öffentlichen Auftraggeber an eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts vergebener öffentlicher Auftrag fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

  1. Der öffentliche Auftraggeber übt über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle aus, wie über seine eigenen Dienststellen;
  2. mehr als 80 % der Tätigkeiten der kontrollierten juristischen Person dienen der Ausführung der Aufgaben, mit denen sie von dem die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber oder von anderen von diesem kontrollierten juristischen Personen betraut wurde… und
  3. es besteht keine direkte private Kapitalbeteiligung an der kontrollierten juristischen Person, mit Ausnahme nicht beherrschender Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität, die in Übereinstimmung mit den Verträgen durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln.

Bei einem öffentlichen Auftraggeber wird davon ausgegangen, dass er über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle im Sinne von Unterabsatz 1 Buchstabe a ausübt wie über seine eigenen Dienststellen, wenn er einen ausschlaggebenden Einfluss sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wesentlichen Entscheidungen der kontrollierten juristischen Person ausübt. Solche Kontrolle kann auch durch eine andere juristische Person ausgeübt werden, die vom öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird.

(2) Absatz 1 gilt auch, wenn eine kontrollierte juristische Pers...

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