Entscheidungsstichwort (Thema)

Freier Warenverkehr. Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung. Nationales Zertifizierungsverfahren. Vermutung der Konformität mit dem nationalen Recht. Anwendbarkeit von Art. 28 EG auf eine private Zertifizierungsstelle

 

Beteiligte

Fra.bo

Fra.bo SpA

Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) – Technisch-Wissenschaftlicher Verein

 

Tenor

Art. 28 EG ist dahin auszulegen, dass er auf die Normungs- und Zertifizierungstätigkeiten einer privaten Einrichtung anzuwenden ist, wenn die Erzeugnisse, die von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, nach den nationalen Rechtsvorschriften als mit dem nationalen Recht konform angesehen werden und dadurch ein Vertrieb von Erzeugnissen, die nicht von dieser Einrichtung zertifiziert wurden, erschwert wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. März 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 11. April 2011, in dem Verfahren

Fra.bo SpA

gegen

Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) – Technisch-Wissenschaftlicher Verein

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richterin A. Prechal sowie der Richter K. Schiemann (Berichterstatter), L. Bay Larsen und E. Jarašiūnas,

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Fra.bo SpA, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Saueracker und M. Becker,
  • der Deutschen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V. (DVGW) – Technisch-Wissenschaftlicher Verein, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Tellman und F.-E. Hufnagel,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
  • der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und D. Hadroušek als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und B. Koopman als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Zavvos, G. Wilms, L. Malferrari und C. Hödlmayr als Bevollmächtigte,
  • der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch M. Schneider und X. Lewis als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. März 2012

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 28 EG, 81 EG und 86 Abs. 2 EG.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fra.bo SpA (im Folgenden: Fra.bo), einer auf die Herstellung und den Vertrieb von insbesondere für Gas- und Wasserleitungen bestimmten Kupferfittings spezialisierten Gesellschaft italienischen Rechts, und der deutschen Zertifizierungsstelle DVGW Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V. – Technisch-Wissenschaftlicher Verein (im Folgenden: DVGW) wegen deren Entscheidung, das Zertifikat für die von Fra.Bo hergestellten und vertriebenen Kupferfittings zu entziehen oder nicht zu verlängern.

Deutsches Recht

Rz. 3

Aus der Vorlageentscheidung und den Erklärungen der Beteiligten geht hervor, dass in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Wasser vom 20. Juni 1980 (BGBl. 1980 I S. 750, im Folgenden: AVBWasserV) allgemeine Verkaufsbedingungen im Verhältnis zwischen Wasserversorgungsunternehmen und ihren Kunden festgelegt werden, von denen die Parteien frei abweichen können.

Rz. 4

Zur maßgeblichen Zeit lautete § 12 Abs. 4 AVBWasserV wie folgt:

„Es dürfen nur Materialien und Geräte verwendet werden, die entsprechend den anerkannten Regeln der Technik beschaffen sind. Das Zeichen einer anerkannten Prüfstelle (zum Beispiel DIN-DVGW, DVGW- oder GS-Zeichen) bekundet, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.”

Rz. 5

Durch die Verordnung vom 13. Januar 2010 (BGBl. 2010 I S. 10) wurde § 12 Abs. 4 AVBWasserV folgendermaßen geändert:

„Es dürfen nur Produkte und Geräte verwendet werden, die den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Die Einhaltung der Voraussetzungen des Satzes 1 wird vermutet, wenn eine CE-Kennzeichnung für den ausdrücklichen Einsatz im Trinkwasserbereich vorhanden ist. Sofern diese CE-Kennzeichnung nicht vorgeschrieben ist, wird dies auch vermutet, wenn das Produkt oder Gerät ein Zeichen eines akkreditierten Branchenzertifizierers trägt, insbesondere das DIN-DVGW-Zeichen oder DVGW-Zeichen. Produkte und Geräte, die

  1. in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum rechtmäßig hergestellt worden sind oder
  2. in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in der Türkei rechtmäßig hergestellt oder in den Verkehr gebracht worden sind

und die nicht den technischen Spezifikationen der Zeichen nach Satz 3 entsprechen, werden einschließlich der in den vorgenannten Staaten durchgeführten Prüfungen und Überwachungen als gleichwertig behandelt, wenn mit ihnen das in Deutschland geforderte...

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